Internationalisierung des Schachspiels im 19. Jahrhundert |
1806 endete nach mehr als 800 Jahren das Heilige Römische Reich, welches aus mehreren Herzogtümern bestand. Der damalige Herrschaftsbereich reichte von Schleswig bis südlich von Rom. Als Napoleon I Mitteleuropa eroberte, wurde im Rheinbund und Deutschen Bund die Anzahl der Staaten von ca. 300 auf ca. 60 Staaten verringert. Unter der Vorherrschaft Preußens kam es nach dem Krieg von 1870/71 zum Deutschen Kaiserreich. Das Deutsche Reich endete 1918 nach dem I. Weltkrieg.
Das Eisenbahnnetz begünstigte die Verbreitung des Schachspiels
Vor 150 Jahren musste man noch strapaziöse Reisen mit der Postkutsche
unternehmen, um mit einem geeigneten Schachpartner eine Partie spielen zu
können.
Ab 1835 begann der Bau des deutschen Eisenbahnnetzes. In den folgenden Jahren
wurde im Fernverkehr die Postbeförderung durch die Eisenbahn beschleunigt und
die Zeit der Postkutsche ging allmählich dem Ende entgegen. Fernstrecken konnte
man jetzt mit der Eisenbahn bewältigen. 1839 gab es eine Eisenbahnverbindung von
Leipzig nach Dresden. Die Eisenbahn schaffte es sogar, das kleinstaatliche
Denken in Deutschland zu überwinden. Ab 1849 gab es ein ausreichend
funktionierendes Streckennetz in Europa.
Wer sich die Kosten und Strapazen einer beschwerlichen Reise ersparen wollte, spielte Fernschach, damals Correspondenzschach genannt. Siehe: Geschichte des Fernschachs
Die Nutzung des elektrischen Stromes für eine schnellere Kommunikation
Physiker wie Alessandro Volta, Georg Simon Ohm und André-Marie Ampère lieferten
Ende des 18. Jahrhunderts die Grundlagen für die Elektrotechnik. Die technische
Nutzung des elektrischen Stromes begann im 19. Jahrhundert. Der Amerikaner
Samuel F. B. Morse entwickelte ab 1837 den ersten brauchbaren Schreibtelegrafen
(Morseapparat). Die erste Schachpartie unter Benutzung einer Telegraphenlinie
wurde 1845 zwischen Howard Staunton und George Walker gespielt. Siehe:
Correspondenzschach 1845 Schachpartie Staunton vs Walker
Fortlaufende Industrialisierung trug zur Verbreitung des Schachspiels bei
Das 19. Jahrhundert war das Zeitalter der Industriellen Revolution. Neue
technische Verfahren bei der Papierproduktion ermöglichten höhere Auflagen von
Büchern und Zeitungen und trugen somit zur Verbreitung schriftlicher
Informationen bei.
Auch damals waren Abbildungen in Büchern und Zeitungen sehr beliebt. Bildliche Darstellungen im Kupferstich oder Stahlstich waren sehr zeit- und kostenaufwendig. Die Xylographie wurde im 19. Jahrhundert zum bevorzugten Reproduktionsverfahren. Ohne diese neue Technik wären Schachdiagramme nicht so zahlreich gedruckt worden.
Somit hat auch die Erfindung der Xylographie zu einer Verbreitung des Schachspiels beigetragen. Die internationale Vereinheitlichung der Schachsymbole, Schachregeln und Notationen wurde dank dieser neuen Methode der bildlichen Darstellung begünstigt.
Die Zeitung als Kommunikationsmedium für Schachspieler
1842 wurden in London und 1843 in Paris und kurz danach in Leipzig die ersten
überregionalen Zeitungen gegründet, in denen mehr als vorher auch Abbildungen
möglich waren. Die Bilder wurden von Hand in eine Holzplatte gestochen. Für den
Text wurde jeder einzelne Buchstabe aus Blei gegossen. Diese Drucktypen wurden
aus einem Setzkasten genommen und dann zu Zeilen zusammengesetzt. Dieses
Verfahren wurde im Zeitungssatz noch bis Ende des 19. Jahrhunderts praktiziert
und ca. 1886 durch den Maschinensatz abgelöst.
1843 erschien ab 1. Juli die Illustrirte Zeitung bei J. J. Weber in Leipzig für mehr als hundert Jahre bis zum September 1944. Johann Jacob Weber wagte das Experiment mit den kostenaufwendigen Holzstich-Illustrationen (Xylographien). Weber gilt heute als Begründer der illustrierten Presse in Deutschland. Es war die erste überregionale Zeitung, welche regelmäßig Beiträge zum Schachspiel und zum Problemschach brachte. Am 12. August 1843 erschien die erste Schachaufgabe in der Leipziger Illustrirten Zeitung. Redakteur der Schachspalte war der Leipziger Lehrer und Schachspieler K. J. S. Portius (1797–1862). Nach seinem Tode 1862 übernahm Max Lange (1832-1899) die Leitung der Schachspalte für nur kurze Zeit, bevor der Leipziger Schachspieler Richard Mangelsdorf (1823–1894) diese dann für weitere 20 Jahre übernahm. 1881 übergab er die Schachspalte an Johannes Minckwitz jun. (1843–1905).
Die erste Schachaufgabe in Illustrirte Zeitung Nr. 7 vom 12. August 1843
Gleich in der ersten Aufgabe hatte sich ein Fehler eingeschlichen. Dies wurde von der Redaktion der Schachspalte in der 9. Ausgabe der Zeitung korrigiert. Siehe: Schachaufgaben 1843
Gegenüber den vorher meist regionalen Mitteilungsblättern hatten die illustrierten Zeitungen eine wesentlich höhere Auflage und damit auch eine größere Verbreitung.
Schachklubs und Schachcafés als Kommunikationsinseln
Mitte des 19. Jahrhunderts war Mitteleuropa immer noch eine "Schach-Wüste". Das
Schachspiel diente wie das Kartenspiel in gutbürgerlichen Haushalten
ausschließlich der Unterhaltung. Ein wissenschaftlicher Umgang mit dem
Schachspiel wurde nur von einigen wenigen Schachexperten gefordert und 1846 von
Herrmann Hirschbach mit der Fachzeitschrift "Deutsche Schachzeitung" in Leipzig
in die Tat umgesetzt.
Schachspieler mit sportlichem Interesse konnten ebenbürtige Schachpartner nur in internationalen Zentren wie London und Paris finden. Erst später kamen Berlin, Leipzig, Wien und Pest als weitere bedeutende Schachzentren hinzu.
Ähnlich einem Boxer, der auf der Suche nach einem gleichstarken Gegner Ausschau hält, versuchten ehrgeizige Schachspieler in den einschlägigen Schachcafés großer Städte geeignete Gegner für den Schachkampf zu finden.
Karikatur von 1845 - Technische Aufgabe "Matt in vier Zügen"
Bitte schauen Sie zum Thema Schachklubs und Schachcafés auf meine speziellen Seiten:
Jean Dufresne und die Schachmeister
Schachclubs und Schachcafés in Berlin
Frühe Schachclubs und Schachcafés in Deutschland
Zur Geschichte der Schachcafés
Das Schachspiel im Café de la Régence in Paris
© Elke Rehder, Schachgeschichte, zuletzt aktualisiert 18.06.2018