Zur Geschichte des Fernschachs |
Heute fahren wir mit dem Auto zu einem Schachturnier oder reisen mit dem Flugzeug zu internationalen Wettkämpfen. Unter der Vielzahl der heutigen Schachspieler ist es leicht, einen geeigneten Schachpartner zu finden. Zusätzlich bietet das Internet die Möglichkeit, online Fernschach zu spielen. Außerdem wurde das Versenden von Postkarten zwischen Fernschachpartnern durch den schnelleren und kostengünstigen E-Mail-Anschluss ersetzt.
Wie haben unsere Urgroßeltern Fernschach gespielt?
Anfang des 19. Jahrhunderts bestand Deutschland aus zahlreichen Kleinstaaten.
Ein Verkehrsnetz, wie wir es heute kennen, gab es damals nicht. Es war die Zeit
der Postkutschen. Die Zahl der Schachspieler war noch sehr gering. Wollte man
eine Partie Schach spielen, fand man in einer Kleinstadt kaum einen ebenbürtigen
Schachpartner. Um einen Schachpartner zu finden, musste man entweder Fernschach
(damals noch Correspondenzschach genannt) spielen oder die Strapazen einer
langen und kostspieligen Reise auf sich nehmen und mühevoll in anderen Städten
nach Schachpartnern in den bekannten Schachcafés suchen. Auch beim Fernschach
war es schwierig, die Postadressen von geeigneten Schachspielern in Erfahrung zu
bringen. In der ersten Hälfte des 19. Jhd. gab es in Deutschland nur sehr wenige
Schachklubs. Aktuelle Informationen über Schachpartien und Schachspieler gab es
erst ab 1843 mit dem Beginn der Verbreitung überregionaler Zeitungen. Aber auch
in den Schachspalten der deutschen Zeitungen wurden die Namen der Schachspieler
zum Teil anonymisiert. In anderen Ländern war dies nicht so üblich. Hinzu kam,
dass einige Schachkomponisten ihre Aufgaben unter Pseudonym bei der Zeitung
einreichten. Schachspieler suchten nach einem geeigneten Schachpartner wie nach
einer Nadel im Heuhaufen.
Fernschach in handgeschriebenen Briefen
Im 19. Jahrhundert verwendete man zum Notieren der Züge im Fernschach Feder,
Papier und Tintenfass. Das Papier wurde damals noch aus alten Lumpen
hergestellt. Man schrieb mit einem Federkiel. Hierfür wurden die stabilen
Vogelfedern von Gänsen bevorzugt. Die harte Spitze des Gänsekiels musste mit
einer scharfen Klinge nachgeschärft werden (wie bei einem Bleistift). Somit
wurde die Vogelfeder im Laufe der Zeit immer kürzer.
In England verbreiteten sich ab 1822 die dort produzierten Stahlfedern. Ab ca. 1830 wurden diese auch nach Deutschland exportiert. Ab 1850 wurden die Federkiele durch die praktischen Stahlfedern verdrängt. Ab ca. 1884 verbreitete sich in New York der Füllfederhalter der Firma Waterman. In Europa wurden die Firmen Montblanc 1906 und Pelikan 1925 gegründet.
Sieht man von den ersten Pionieren und Vorläufern der Schreibmaschine einmal ab, so entspricht die seit 1900 sich weltweit verbreitende Typenhebelschreibmaschine am ehesten unseren heutigen Vorstellungen von einer Schreibmaschine. Da beim Fernschach meist nur kurze Informationen ausgetauscht werden, wurde eine Schreibmaschine nur selten verwendet.
Versandformen für den Zugaustausch im Fernschach
Ein handgeschriebener Brief wurde gefaltet und bei einer Poststation abgegeben.
Eine Pferdekutsche, die sogenannte Postkutsche, transportierte Postsendungen und
Passagiere. Eine gut gefederte, vierspännige Postkutsche konnte um 1850 bereits
100 km am Tag zurücklegen. Pausen gab es nur bei einem notwendigen
Pferdewechsel. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es noch keine
Briefmarken. Diese sogenannten "Altbriefe" wurden mit handschriftlichen
Postvermerken und Stempeln versehen (Zeit der Vorphilatelie).
Die erste Briefmarke gab es in Deutschland Ende 1849. Der sogenannte "Schwarze Einser" wurde im damaligen Königreich Bayern herausgegeben. Mit der Gründung des Deutsch-Österreichischen Postvereins kam es im Juli 1850 zum Zusammenschluss kleinstaatlicher Posten und zu einem einheitlichen Tarifsystem.
Der Brief war lange Zeit die einzige Möglichkeit über größere Entfernungen hinweg mit einem Schachpartner zu kommunizieren. Erst nach 1870 wurde der Brief im Fernschach durch die Postkarte als geeigneteres Medium für Kurzinformationen abgelöst.
1870 wurde die Postkarte im Norddeutschen Bund eingeführt. Damals wurde sie noch "Correspondenzkarte" genannt. Sie war ideal für kurze Mitteilungen und auch das Porto war geringer als für einen Brief. Ab 1878 gab es Weltpostkarten mit bezahlter Rückantwort. Die Postkarte wurde bald zum idealen Medium für Fernschachspieler. Ansichtspostkarten, beispielsweise mit Fotografien von internationalen Turnieren, Porträts bedeutender Schachspieler oder mit künstlerischen Illustrationen oder Karikaturen zum Schach kamen erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Gebrauch. International gab und gibt es immer noch Sammler von sogenannten Schachpostkarten.
Es waren die Eisenbahngesellschaften, welche die Entwicklung der elektrischen Telegraphie vorantrieben, weil sie für den Bahnbetrieb wichtige Informationen schneller senden mussten als die Züge fahren konnten. Im Fernschach war die elektrische Telegraphie nur dann in Gebrauch, wenn die schnelle Reaktion eines Schachpartners erforderlich war. Bekannt ist die Fernschachpartie 1845 zwischen Howard Staunton und George Walker. Siehe: Correspondenzschach 1845 Schachpartie Staunton vs Walker
Das Telegramm, eine telegraphisch übermittelte Nachricht, wurde im Fernschach nur im Ausnahmefall verwendet. Erst ab ca. 1930 nahm durch die vermehrte Nutzung von Fernschreibgeräten, sogenannten Fernschreibern, die Zahl der Telegramme zu. Fernschachspieler mit einem Zugang zu einem Fernschreiber konnten insbesondere an Schachpartner in Übersee ihre Information schneller und vergleichsweise preiswerter übermitteln.
Erst mit der Erfindung des Telefons, früher auch als Fernsprechapparat bezeichnet, konnte man die natürliche Stimme seines Fernschachpartners hören. Mit den Telefonen im 19. Jahrhundert konnte man noch nicht selber die Rufnummer des Schachpartners wählen. Die Verbindung wurde von einem „Fräulein vom Amt“ per Hand hergestellt (Handvermittlung). Damit ein Gespräch nicht zu teuer wurde, musste man sich allerdings kurz fassen. Auslandsgespräche waren so teuer, dass im Fernschach doch lieber die bewährte Postkarte zum Einsatz kam. Die schriftliche Form hatte gegenüber dem Telefon den Vorteil, dass es nicht zu Hörfehlern kommen konnte und man ein beweiskräftiges Dokument hatte.
Frühe Fernschachpartien - Schachkampf zwischen den Städten
Fernschach wurde nicht nur von einzelnen Schachspielern, sondern auch von
Schachklubs Stadt gegen Stadt gespielt.
Der Herr Obrist von Mauvillon in Cleve, das ist Friedrich Wilhelm von Mauvillon, der Letzte seines Stammes (geboren am 30. April 1774, gestorben am 29. Juli 1851), spielte im Jahre 1804 die erste bekannte Fernschachpartie von Den Haag aus mit einem befreundeten Offizier in Breda. Mauvillon veröffentlichte seine Spiele 1827.
Bei frühen Fernschachpartien sind die Aufzeichnungen über den Zugaustausch oftmals verschollen. Dies ist beispielsweise auch der Fall bei der 1845 und 1846 gespielten Fernschachpartie zwischen der Schachgesellschaft "Zum Guttenberg" Leipzig und Löberitz.
1824 begann ein Schachkampf zwischen den Städten London und Edinburgh. Die Schotten gewannen 1828 mit 3:2 gegen London.
Die französischen Schachklubs von Orleans und Valenciennes begannen im Juni 1843 mit zwei Fernschachpartien, die im Dezember 1844 jeweils mit einem Remis endeten.
Die beiden norddeutschen Städte Glückstadt und Schleswig spielten eine Fernschachpartie von Mai 1843 bis November 1844.
1846 spielten die Städte Lübeck und Leipzig eine Fernschachpartie in 42 Zügen.
Lübeck gewann mit Schwarz.
Die Städte Paris und Pest (heute Budapest in Ungarn) spielten Fernschach in zwei
Partien. Es ging damals um ein Preisgeld von 5000 Francs. Der Schachkampf
zwischen den Ungarn und den Franzosen begann im November 1842 und endete im
Januar 1846 mit einem triumphalen Sieg für die Ungarn, obwohl Paris starke
Spieler wie Saint-Amant, Chamouillet, Calvi, Devinck und LaRoche hatte und
zu Beginn der ersten Partie auch noch Lionel Kieseritzky und Alexandre
Deschapelles mit dabei waren. Die Spieler des Pester Schachklubs hatten den
Pariser Cercle des Echecs herausgefordert und vernichtend 2:0 geschlagen. Bei
den Ungarn überzeugten vor allem die Spieler József Szén, Johann Jacob Löwenthal
und Vincenz Grimm, die ihr Spiel ganz auf Verteidigung anlegten. Die Ungarische
Verteidigung ist eine heute noch bekannte Eröffnung, die mit den folgenden Zügen
beginnt:
1. e2-e4 e7-e5
2. Sg1-f3 Sb8-c6
3. Lf1-c4 Lf8-e7
Vincenz Grimm oder Vincent (Vincenz, Vince) Grimm (1800, Wien – 15 Januar
1872, Budapest)
Original-Holzstich aus der Elke Rehder Collection
Grimm war ein nicht so starker Schachspieler wie die beiden Schachmeister József Szén und Johann Jacob Löwenthal, hatte aber einen bedeutenden Anteil an dem Sieg. Für Löwenthal war dieser Sieg das Sprungbrett für seine spätere Karriere in London.
Der Anführer der Ungarischen Unabhängigkeitserhebung gegen Österreich Lajos
Kossuth (1802–1894) ernannte Grimm, der außer Schachspieler auch Künstler und
Lithograf war, zum Direktor der ungarischen Banknotenfabrik. Im August 1849
kapitulierten die Ungarn nach der Schlacht von Világos und die Ungarische
Revolution war beendet. Grimm flüchtete ins Exil nach Konstantinopel. Dort
überzeugte er den Pascha von seinem Talent als Zeichner und Lithograf. 1868
kehrte Grimm nach Pest zurück.
© Elke Rehder 05.08.2015