Zur Geschichte der Schachcafés

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Schachclubs und Schachcafés international

Die Schachcafés und Schachclubs in London, Paris und Berlin waren die maßgeblichen Orte, wo Meinungsaustausch stattfand, zum anderen aber auch Meinungen gemacht wurden. Eine Vernetzung der Medien, wie wir sie heute kennen, war damals noch nicht gegeben. Oft dauerte es mehrere Wochen, bis die mit der Postkutsche beförderten Briefe und Zeitschriften den Empfänger erreichten. Dies wurde besser, als der von Samuel Morse konstruierte und 1844 verbesserte Schreibtelegraf zum Einsatz kam. Um 1850 waren zahlreiche deutsche Telegrafenlinien aufgebaut, die dann ein zusammenhängendes Informationsnetz bildeten. Neben sachlichen Informationen waren, wie auch heute noch, die "Klatschspalten" von Interesse.

Hier ein Beispiel aus der Deutschen Schachzeitung von 1846, Seite 275 ff:

"Ein Freund des Schachspiels, welcher mehrere Jahre hindurch in Paris und London sich aufgehalten und daselbst fortwährend mit den Meistern gespielt hat, erzählt uns viel Interessantes von dort, das wir unsern Lesern zum Teil mitteilen. Zuerst von Paris. Der stärkste Spieler dort war bekanntlich Herr Deschapelles. Doch spielt derselbe nicht mehr öffentlich, sondern nur privatim. Nach ihm möchte immer noch Herr St. Amant kommen, welcher namentlich sehr stark im Bauernspiel ist, wie denn überhaupt die Franzosen hierin den Engländern überlegen sein möchten, wenigstens sehr stark in diesem wichtigen Teile der Praxis sind. Herr St. Amant, ein durch glückliche Unternehmungen reich gewordener, bei den Mitgliedern des Pariser Schachzirkels wenig beliebter Weinhändler, ist ein Mann in den Vierzigern, von Verstand und sehr ruhiger Überlegung, besucht aber den Club wenig und spielt nur leichte Partien mit Solchen, denen er ohne Schwierigkeiten Vorgaben machen kann. Mit Herrn Kieseritzky z. B. lebt er in Feindschaft. Daher kommt es auch, dass der Palamède so sehr dürftig an Partien Pariser Meister ist. Das Ganze ist mehr Unterhaltungslektüre, die weiter wenig Wert hat.

Herr Kieseritzky ist ein sehr bedeutendes Schachtalent voll originaler Anschauungen. Ihm fehlt aber als Praktiker Geistesruhe (zum Teil wegen äußerlicher Verhältnisse), um es z. B. mit Staunton aufnehmen zu können. Er ist ein Mann nah den Vierzigern und widmet sich ausschließlich dem Schach, das ihm gewiss noch mancherlei Bereicherungen verdanken wird. Herr Harrwitz aus Schlesien, ein junger Mann, der in Paris privatisiert, möchte ihm an Stärke zunächst stehen. Außerdem gibt es dort noch manche tüchtige Spieler, deren Namen auch den Schachfreunden bekannt sind.

Da, mit Recht, in Paris und London gewöhnlich um einen Einsatz und oft nicht um einen unbedeutenden gespielt wird, so hat dies Veranlassung zu einem Industriezweige gegeben, der manches Komische hat. In einem Kaffeehause z. B. hat sich ein Schachspieler etabliert, der auf die Gimpel aus der Provinz Jagd macht. Merkt er, dass er an einen Überlegenen geraten ist, so unterbricht er rasch die Partie und entfernt sich eilig mit dem Vorgeben dringender Geschäfte, bezahlt aber auch nichts, weil die erste Partie nur eine Probe gewesen sei."

In London bestehen zwei besondere Clubs, der St. George's Club (Westend, Kingstreet, St. James) und der alte Londoner Chess Club (City, Cornhill). In dem St. George's Club befinden sich die bedeutendsten Spieler. Von allen englischen Spielern möchte Herr Walker an Staunton wohl zunächst stehen. Herr Walker (Buchhändler), ein Mann in den Fünfzigern, spielt sehr bedächtig, wie überhaupt die Engländer langsamer ziehen als die Franzosen. Seine Verdienste als Theoretiker hat die Schachwelt gebührend anerkannt. Nach ihm kommt Herr Buckle, Gelehrter vom Fach, der sehr stark spielt. Wie in allen Dingen wo der Ehrgeiz die Geister beherrscht, so blüht auch in der Schachwelt die Feindschaft. Wie St. Amant und Kieseritzky, so sind Walker und Staunton Feinde und die Animosität ist keine geringe.

In Paris spielte unser Berichterstatter oft mit Herrn Greville, einem sehr tüchtigen englischen Meister. Auf seiner Rückreise durch Deutschland berührte er auch Wien, wo er mit Herrn v. Heydebrandt und d. Lasa zusammentraf, der sich dort, bei der preußischen Gesandtschaft angestellt, seit mehreren Jahren aufhält. Irrtümlich hatte man uns die Rückkehr desselben nach Berlin gemeldet. Als erster Spieler gilt in Berlin jetzt nur noch Herr Assessor Hanstein.

Ein Londoner Kaffeehaus, wo man viele Schachspieler antrifft, ist der Divan. Man spielt dort gewöhnlich um 1 Schilling. Namentlich zwei Spieler, Herr Löwe (ein Deutscher) und Herr Finch, haben daselbst ihr Hauptquartier."

Anmerkung: Die Rechtschreibung und die Schreibweise der Namen wurden aktualisiert.

Der von Samuel Reiss 1828 gegründete Grand Cigar Divan in the Strand (Straßenname in der City of Westminster) wurde bald ein blühendes Kaffeehaus und ein Gentleman-Club, wo man Schach spielen und Zeitungen lesen konnte. 1848 erfolgte eine Erweiterung in Simpson's Grand Divan and Tavern. 1851 spielte hier Adolf Anderssen seine unsterbliche Partie gegen Lionel Kieseritzky. 1888 starb hier Johannes Zukertort beim Schachspiel an einem Schlaganfall. Außerdem spielten hier Howard Staunton, Siegbert Tarrasch, Wilhelm Steinitz, Paul Morphy und Emanuel Lasker. Heute noch ist Simpsons in the Strand ein bekanntes Londoner Nobelrestaurant.

Eine typische Szene aus dem Londoner Schach Divan zeigt die folgende Karikatur aus der Zeitschrift Punch, or the London Charivari vom 4. April 1885

Grand Cigar Divan in the Strand. Simpson's Grand Divan and Tavern.

 

Schach in Budapest

Herrmann Hirschbach berichtet in der Deutschen Schachzeitung 1847, Seite 159:

"Ein Leipziger Schachfreund war neulich in Pesth, wo er die Herren Szen, Grimm und Löwenthal antraf, welche gewöhnlich im Wurmschen Kaffeehause zusammenkommen. Es wird schwer fallen, drei so starke Spieler zugleich in einer Stadt anzutreffen."

Anmerkung zum Wurmschen Kaffeehause: Das Kaffeehaus Ruszwurm wurde 1827 gegründet. Es liegt im Burgviertel. Die Konditorei in dem relativ kleinen Kaffeehaus ist weltberühmt. Das alte Wort Ruszwurm kommt schon im summarium Heinrici vor und scheint eine Schabe oder Assel zu bedeuten, die vor einigen hundert Jahren im Burgviertel sicher nicht selten anzutreffen war. In den zahlreichen Kaffeehäusern konnte man nicht nur zum Schachspiel einen „Fekete“, einen kleinen schwarzen, stark gekochten ungarischen Kaffee genießen. Kaffeehäuser waren beliebte Treffpunkte von Intellektuellen, Literaten und Schachspielern. Das Pilvax-Kaffeehaus wurde im Jahre 1848 zum Schauplatz der Ungarischen Revolution. Das Café Gerbeaud war k. u. k. Hoflieferant ist heute noch eines der größten und traditionsreichsten Kaffeehäuser in Europa. Der Aufstieg begann mit dem Konditormeister Henrik Kugler. Franz Liszt war Stammgast. 1884 wurde der Pariser Konditor Emil Gerbeaud Geschäftspartner. Er verhalf der Konditorei auf der Brüsseler (1897) und Pariser Weltausstellung (1900) zu internationalem Ruhm. 1894 wurde das Café New York von einer amerikanischen Versicherungsgesellschaft gegründet. Das Innere dieses prunkvollen Cafés mit seinen gedrehten Säulen gleicht einem barocken Kirchenraum.

 

Schach in Wien

1847 schreibt Herrmann Hirschbach in der Deutschen Schachzeitung, Seite 40:

"Von den Wiener Spielern schildert uns unser Berichterstatter Herrn v. Jenay's Spiel als kühn, frei und überhaupt sehr anziehend. Herr von Jenay ist noch ein sehr junger Mann. Auch mit Baron Perenyi und anderen Wiener Meistern hat er gespielt. Der Einsatz im Kaffeehaus Neuner, wo die Schachfreunde Wiens zusammen kommen, beträgt wenigstens 4 Zwanziger. Meistens wird aber die Partie à 1 Gulden gespielt."

Anmerkung zum Kaffeehaus Neuner: 1808 wurde das Silberne Kaffeehaus von Ignaz Neuner gegründet. Franz Grillparzer und Ludwig van Beethoven zählten zu den Stammgästen. 1856 wurden im Café Français erstmals auch Frauen der Zugang zu einem Kaffeehaus gestattet. Zuvor war die einzige weibliche Person im Kaffeehaus die Sitzkassiererin gewesen. 1873 zur großen Weltausstellung zählte Wien 200 Kaffeehäuser. 1876 wurde das Café Central in der Herrengasse 14 gegründet. Seit Oktober 1907 war dies der Ort wo russische Emigranten wie Leo Trotzki bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges regelmäßig Schach spielten. Das Café wurde scherzhaft auch als "Die Schachhochschule" bezeichnet.

 

Schachspieler Ernst Falkbeer
Ernst Falkbeer (* 27. Juni 1819 in Brünn; † 14. Dezember 1885 in Wien) Schachmeister, Autor und Verleger

Ernst Falkbeer schreibt in der Wiener Schach-Zeitung im Mai 1855 unter der Überschrift "Der Schachpoet vom Café Neuner":

"Gewiss erinnern sich noch viele Wiener Schachspieler, welche vor 8 bis 10 Jahren das Café Neuner besuchten, jenes alten gemütlichen Herren, der Tag für Tag durch mehrere Monate im Jahre Schlag 4 Uhr im Schachsalon erschien, überallhin freundlich grüßte, aus einer mächtigen Tabakdose Prisen servierte und sich allgemach um "seine" Partie umsah.

Es war für ihn zeitweise mit großer Schwierigkeit verbunden, eine solche zu finden, nicht etwa aus Mangel an Schachfreunden – denn das Café Neuner war oft gedrängt voll – sondern weil viele mehr Vergnügen darin fanden, dem alten Herrn Schachspielen "zuzuhören", als selbst mit ihm zu spielen. Er hatte die merkwürdige Gewohnheit, seine Züge und mitunter auch jene des Gegners mit allerlei Sprüchen und Knittelversen zu begleiten ..."

Der vollständige Text der Seiten 153-159 in der Mai-Ausgabe der Wiener Schach-Zeitung ist im Internet bei der Bayerischen Staatsbibliothek digital verfügbar.



Schachcafés 1851

1851 wird in den Schachcafés und Schachgesellschaften in Deutschland und Österreich sehr viel gespielt, diskutiert und schließlich großartig gefeiert. Der Anlass dafür ist der Turniersieg von Adolf Anderssen in London. Von den Wiener Schachspielern erscheint folgende Huldigung auf Anderssens Sieg in der Berliner Schachzeitung:



Abb. aus der Berliner Schachzeitung 1851 Seite 348

Erst recht wurde in Berlin gefeiert. Die Begeisterung über den Sieg der Deutschen über die Engländer steigerte den Nationalpatriotismus und führte zu vermehrten Beitritten in Schachvereinigungen. Anderssen wurde in seiner Heimatstadt Breslau gebührend empfangen. Die Berliner Schachzeitung berichtete 1851 auf S. 375 darüber:

"Seit der Rückkehr Anderssens nach Breslau hat sich der dortige Schachclub bedeutend vergrößert. Anderssen ist zum Präsidenten, Herr Friedländer zum Stellvertreter desselben, Herr Dr. Eliason zum Sekretär und Herr Franke zum Kassierer gewählt worden. Der Club versammelt sich regelmäßig in dem Kretschmer'schen Café auf der grünen Baumbrücke, woselbst ihm zu seinem ausschließlichen Gebrauch zwei besondere Zimmer eingeräumt sind. Die rege Teilnahme der vierzig Mitglieder lässt nur den Wunsch übrig, dass ein so erfreulicher Zustand dauerhafter als früher sein möchte."

Adolf Anderssen Lithografie 1877
Adolf Anderssen mehr als 25 Jahre später im Alter von fast 60 Jahren um 1877


 

Bitte lesen Sie auch den Bericht des Berliner Schachmeisters Jean Dufresne auf meiner Seite Jean Dufresne und die Schachmeister

 

Schauen Sie bitte auch meine Seite Frühe Schachclubs und Schachcafés in Deutschland

 

und meine Seite Schachclubs und Schachcafés in Berlin

 

und meine Seite Das Schachspiel im Café de la Régence in Paris



Zusammenstellung und Fotos von Elke Rehder, im Juni 2018

 

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