Das Schachspiel im Café de la Régence in Paris |
Bei meiner Suche nach Schachaufgaben in den illustrierten Zeitschriften stieß
ich auf einen Bericht über das berühmte Schachcafé, das seit ca. 1740 das
Zentrum des Schachspiels in Europa war. Alle bedeutenden Schachspieler jener
Zeit haben dort Partien gespielt. Die Schachmeister François Antoine de Legall,
Lionel Kieseritzky und Daniel Harrwitz waren dort als Berufsspieler tätig. 1843
war das Café de la Régence Schauplatz des Kampfes von Pierre Saint-Amant gegen
Howard Staunton und auch der Amerikaner Paul Morphy gastierte dort in den Jahren
1858 und 1859.
In der Zeitschrift Daheim, ein deutsches Familienblatt mit Illustrationen, ist im Ersten Jahrgang 1865 in der Januarausgabe Nr. 17 der Bericht "Das Café de la Régence in Paris" von A. Mosengel erschienen. Der Verfasser ist der Hamburger Landschaftsmaler Adolf Konrad Heinrich Mosengel (1837-1885). Er studierte an der Akademie in Düsseldorf und war in den Jahren 1858 und 1859 zur Weiterbildung in Paris. Wie viele andere Künstler war auch Mosengel oft in dem beliebten Pariser Schachcafé. Als Schachspieler war Adolf Mosengel (Edo 2359) in den Jahren 1858 bis 1863 aktiv. Verzeichnet ist sein Match gegen Ladislas Maczuski (Edo 2408) im Februar 1861 in Paris.
Ich habe den Text von Mosengels Bericht in die neue Rechtschreibung übertragen und einige Vermerke hinzugefügt. Meine Erläuterungen beziehen sich überwiegend auf die
von Mosengel erwähnten Namen der frühen Schachliteratur vor 1800, die vielleicht
nicht jedem Leser geläufig sind. Zu den bedeutenden Schachmeistern des 19.
Jahrhunderts waren meines Erachtens keine zusätzlichen Erläuterungen
erforderlich. Die Namen dieser erstklassigen Schachspieler sprechen für sich und
erscheinen in zahlreichen Büchern der gängigen Schachliteratur.
Nach der Abbildung der Titelillustration des deutschen Familienblattes Daheim
folgt der interessante zeitgenössische Bericht von Adolf Mosengel.
Titel des illustrierten Familienblatts "Daheim"
"Die Schachspieler bilden eine stille Gesellschaft, die sich über die ganze
Erde ausbreitet. Wie die Freimaurer ihre Logen, so haben diese in aller Herren
Länder ihre Zirkel und Klubs zu regelmäßigen Versammlungen. Da werden Statuten
beraten und festgestellt, Rekruten geworben und geschult, heiße Schlachten
geliefert und kostbare Preise verteilt. Was die Denker aller Nationen auf dem
Gebiete der 64 Felder gefunden, ist sorgfältig aufgezeichnet und bewahrt worden,
so dass die Bände der Schachliteratur schon nach Hunderten zählen. Spanien und
Italien hatten ihre Glanzperioden; Frankreich, England und Deutschland halten
mit wechselndem Erfolge die Fahne hoch, und Russland stellt Autoritäten ersten
Ranges. Aber nicht in Europa allein hat sich das edle Spiel zu der Höhe einer
Wissenschaft erhoben; noch jetzt bewundern wir die feinen Kombinationen des
Arabers Stamma (Anm.: Philipp Stamma, um 1705 in Aleppo, Syrien - 1755 in
London), die uns (außer seinem eigenen Buche) der französische
Schachmeister Philidor in seinen Musterpartien überliefert hat, und wenn wir die
englischen Schachzeitungen durchblättern, so finden wir einen gewaltigen Kämpen
aus dem fernen Asien: den Inder Mohishunder. (Anm.: Moheschunder Bannerjee war ein starker indischer Schachspieler
aus Bengalen. Der Engländer John Cochrane spielte während seiner Amtszeit in
Calcutta von 1848 bis 1860 regelmäßig gegen ihn. Cochrane beschrieb die
Eröffnungen des Inders als sogenannte Indische Verteidigung, die zu einer
späteren Zeit in der Hypermodernen Schule durch Aron Nimzowitsch Bekanntheit
erlangte.)
Die Siege des Amerikaners Paul Morphy haben die Runde durch alle Blätter
gemacht, und erwecken Interesse selbst bei solchen, die sich vordem nie mit
Schach beschäftigten.
Diese Tatsachen finden ihre Erklärung in dem Wesen des Spieles, dem kein anderes
an die Seite gestellt werden kann. Das Schachspiel weckt und bildet einige der
schönsten Eigenschaften des Menschen. Klugheit, Kühnheit, Ausdauer,
Selbstbeherrschung und Geistesgegenwart sind in hohem Grade dazu erforderlich!
Fehlt nur ein einziger dieser Faktoren, so ist die höchste Stufe unerreichbar.
Viel tut freilich auch "Schule"! So wird der talentvollste Anfänger nach wenig
Zügen aus dem Sattel gehoben, wenn er einen theoretisch gebildeten Gegner vor
sich hat, dem die Spieleröffnungen geläufig sind. Deshalb hat man von jeher
einen großen Wert auf die von bedeutenden Schachspielern hinterlassenen
Aufzeichnungen gelegt, die nach und nach zu wohlgeordneten Angriffs- und
Verteidigungssystemen geworden sind.
Wer auf diesen Feldern Lorbeeren erringen will, glaube doch ja nicht, dass es
nur ein "Spiel" ist! Das Studium dieses Spieles kann bequem ein Menschenleben
ausfüllen, ebenso gut wie das Studium irgendeiner anderen Wissenschaft; so
übermächtig ist das Material bereits geworden.
Während bei einigen Eröffnungen die Gelehrten schon nach den ersten Zügen uneins
werden und zweifelnd fragen: was ist jetzt der beste Zug? führt bei anderen das
Buch mit logischen und handgreiflichen Beweisen bis in die Mitte des Spiels. Da
heißt es: wenn Weiß diesen Zug tut, so hat Schwarz nur diesen einzigen Gegenzug,
dann folgt der beste Zug für Weiß, und wieder ist der folgende Zug von Schwarz
eine gebieterische Notwendigkeit, oder .... und nun folgen seitenlange
Varianten, die alle mit der Niederlage von Schwarz endigen.
Das soll nun alles auswendig gelernt sein, und gut behalten, damit jeder Zug des
Gegners wie ein alter Bekannter begrüßt, und stillschweigend mit dem richtigen
Gegenzug beantwortet werde. Mechanisches Auswendiglernen hilft auch wieder
nicht, denn sonst geschieht es wohl, dass einem vom vielen Lernen der klare Sinn
trüb und wirbelig wird, er meint noch immer richtig nach dem Buche zu spielen,
und ist unvermerkt in die ungünstige Variante geraten, die mit seiner Niederlage
enden muss; da lässt er sich nun so schön und regelrecht "matt" setzen, wie es
eben nur "nach dem Buch" möglich ist, und spielt eine Partie, die schon vor
hundert Jahren als abschreckendes Beispiel gedruckt wurde.
Wenn nun sorgfältig das Beste ausgewählt, und mit unsäglicher Mühe bei Tag und
Nacht gelernt ist, wenn es nun endlich sitzt, und das Gedächtnis so vortrefflich
einexerziert ist, dass überall schlagfertig die richtige Antwort ertönt, man mag
anklopfen wo man will, dann - geht das Studium an! Dann soll selbst gefunden,
erfunden werden! Denn es ist einleuchtend, dass mit der ganzen Bücherweisheit
noch sehr wenig gewonnen ist: was gedruckt ist, ist Gemeingut, und der Gegner
studiert dieselben Autoren. Wirkliche Erfolge können selbst auf dieser Grundlage
nur mit eigenem Witz und überlegenen Verstandeskräften errungen werden.
Zum Troste für diejenigen, welche nicht in der Lage, oder nicht gesonnen sind,
ein ganzes Menschenleben dabei zuzusetzen, und doch gern Schachspieler aber
keine Schachstümper sein möchten, will ich jetzt einlenken und ihnen sagen, dass
man auch ohne all diese Drangsal viel Freude am Schach erleben und manche Partie
gewinnen kann. Jede Sache hat eben zwei Seiten, und dass man auch mit einiger
Wahrscheinlichkeit behaupten kann, das Schachspiel sei ungemein leicht zu
erlernen, davon erfuhr ich vor kurzem ein hübsches Beispiel:
Ein Schachspieler meiner Bekanntschaft, der gern Proselyten macht, war an einen
eifrigen Whistspieler geraten, der sich nicht bekehren lassen wollte, weil das
Schachspiel ein zu schweres Spiel für ihn sei. "Aber, lieber Herr," versetzte
der Schachspieler, ohne sich irre machen zu lassen, "das Whistspiel ist ja
unendlich viel schwerer, wie ich Ihnen gleich beweisen werde. Ohne davon zu
reden, dass Sie gegen unbekannte Feinde kämpfen, da Sie die Karten Ihres Gegners
nicht kennen, nicht einmal die Ihres Aiden! (Anm.: Aiden = Mitspieler, Partner,
besonders im Whist, ein Kartenspiel für vier Personen, aus dem das Bridge-Spiel
hervorgegangen ist). Während Sie beim Schach jeden Trumpf sehen, den Ihr
Gegner noch ausspielen kann; wie gesagt, ohne diesen großen Vorteil in Anschlag
zu bringen, gebe ich Ihnen nur zu bedeuten, dass Sie es beim Whist zugleich mit
der Zukunft und mit der Vergangenheit zu tun haben: um die künftigen Stiche zu
machen, müssen Sie fortwährend die schon ausgespielten Karten im Gedächtnis
behalten; dagegen beim Schachspiel interessiert Sie einzig die Zukunft, jeder
genommene Stein ist gänzlich abgetan, so wie jeder einmal geschehene Zug; Sie
brauchen seiner nicht mehr zu gedenken. Sie sollen immer nur aus der Gegenwart
eine möglichst günstige Zukunft gestalten. So vereinfacht sich mit jedem Zuge
das Spiel!". Kann man bessere Gründe für eine unhaltbare Sache anführen?
Schachleben im Café de la Régence um 1845
Ehe ich es versuche, das Schachleben im Café de la Régence zu schildern, will ich noch in wenigen Zeilen der bedeutendsten Schachautoren gedenken, die seit sieben Jahrhunderten wesentlich zur Verbreitung und Entwicklung des Spiels beigetragen haben. Das älteste Schachbuch, dessen Erwähnung geschieht, ist aus dem 13. Jahrhundert von
waren die Schriftsteller der älteren Periode. Mit François André Danican,
genannt Philidor (1726 bis 1795), begann eine neue Epoche. Fünfzig Jahre lang
behauptete er siegreich das Feld gegen jeden Gegner, und wenn er seinen Feinden
beim Blindlingsspiel, wovon er, als der Erste, in London bewunderungswürdige
Proben ablegte. Diese letzte Art zu spielen blieb lange Zeit eine nur Philidor
mögliche Heldentat, bis die neuere Zeit und namentlich die Gegenwart eine solche
Fülle von Blindlingsspielen auftauchen ließ, dass ihre Namen aufzuzählen fast
unmöglich sein würde.
Philidors Stärke liegt in einem überaus feinen Bauernspiel. Mit einem
geschlossenen Zentrum von Bauern begegnet er den glänzendsten Figurenangriffen,
durchbricht die feindliche Reihe, und bringt schließlich einen Bauer zur Dame.
Das Wesentliche seines Spieles liegt darin, dass dieser zur Dame gebrachte Bauer
die Entscheidung herbeiführt. Seinen Zeitgenossen gegenüber behielt er Recht,
und bekämpfte erfolgreich die Systeme seiner Gegner:
Tassilo von Heydebrand und der Lasa 1873
Die neueren Autoritäten sind so bekannt, dass ich mich der Anführung ihrer Namen hier enthalte; man hat gesucht, das Beste aus Philidor und seiner Gegner System festzuhalten und vereinigt weiter auszubilden, konsequente Anhänger der alten französischen oder italienischen Schule finden sich kaum noch. Dass Deutschland nicht zurückgeblieben ist, weder im praktischen Spiel noch in der Theorie, beweisen Anderssens Sieg auf dem großen Londoner Schachturnier 1851, und das Handbuch von Bilguer und von der Lasa, das vollständigste Werk, welches die gesamte Schachliteratur aufzuweisen hat.
Als eine Frucht der neuesten Schachstudien ist noch die Schachaufgabe zu
erwähnen. Obgleich diese Frucht eine harte, schwer zu knackende Nuss ist, so
finden sich doch von Jahr zu Jahr mehr Liebhaber dafür, und wieder vorzüglich in
Deutschland, wo es vielleicht bald mehr Problemdichter geben wird, als
gewöhnliche Dichter.
Nach dieser Einleitung, die für das, was folgen soll, schon ungebührlich lang
geworden ist, wollen wir dem Schauplatz der Pariser Schachkämpfe einen Besuch
abstatten. Das Café de la Régence, Rue St. Honoré 161, liegt in den Neubauten
fast an derselben Stelle, wo das alte lag. Seit seinem Bestehen war es ein
Rendezvous der Liebhaber und Ausübenden unseres Spiels. Es ist eines von den
wenigen Pariser Cafés, die eine große Anzahl von Stammgästen haben. Selbst
Fremde werden für die Zeit ihres Aufenthaltes in Paris Stammgäste in seinen
Räumen; sie lassen sich die bedeutenden Schachgrößen zeigen, lernen bald
ebenbürtige Gegner kennen, wie Schachspieler überhaupt schnell Bekanntschaft
machen, und lenken ihre Schritte nach der Rue St. Honoré so oft es ihre Zeit
erlaubt, bis sie wieder verschwinden, um neuen Erscheinungen Platz zu machen, -
spurlos, wenn nicht das Andenken an einige glänzend gespielte Partien den
stetigen Stammgästen noch für kurze Zeit Stoff zur Unterhaltung gibt. Im Gefühl
der eigenen Größe aber fällt das Lob nur sparsam aus: Avez-vous joué avec ce
petit polonais? fragt einer derselbe seinen Nachbarn: Mais oui! il est malin, ce
monsieur! Das ist schon eine starke Anerkennung, die wenigen zu Teil wird.
Den Deutschen geht ein günstiges Vorurteil voraus, man braucht hier nicht zu
sagen: Pardon, Monsieur, je suis allemand! nein, jedes Mal wenn ich den
bedeutendsten Schachspielern einen Landsmann vorstellte, verneigte man sich sehr
verbindlich, und murmelte etwas von nation de penseurs etc., was einen
wohltuenden Gegensatz zu dem tète-carrée und anderen lieblichen Spitznamen
bildet, womit uns unsere überrheinischen Nachbarn in Paris zu bezeichnen
pflegen.
Überhaupt ist ein sehr feiner Ton vorherrschend, und finden sich oft die
hervorragendsten Persönlichkeiten ein, um einmal eine gute Partie Schach zu
spielen, wie sie selbst in Paris nur im Café de la Régence zu haben ist; oder
der Graf X. tritt ein, bestellt eine demi-glace und nimmt einen Schachfürsten
beiseite, der gerade in der Mode ist, um ihn in elegantester Form zu ersuchen,
die kleine Soirée, die er eben arrangiere, durch seine Gegenwart zu
verherrlichen. "Ein Schachspiel werden Sie vorfinden, ich bin entzückt, meinen
Freunden eine Probe Ihres wunderbaren Talentes zu zeigen, es gereicht mir zur
größten Genugtuung, Ihnen diesen Triumph bereiten zu können." Bei dieser
Gelegenheit wandert ein unscheinbares aber nicht zu verachtendes Bankbillet aus
dem Taschenbuche des Grafen in die Busentasche des Schachspielers, der gerührt
verspricht, präzise zu kommen, und heute für 5 Francs im Palais Royal diniert,
statt wie gewöhnlich für 95 Centimes beim Suppen-Duval.
Das Café de la Régence besteht aus drei Räumlichkeiten: dem eigentlichen Café,
wo die Nichtraucher spielen, und dem Estaminet (Anm.: Das Estaminet ist lt.
Duden ein kleines Kaffeehaus oder Kneipe), von welchen einige Stufen
aufwärts in ein Billardzimmer führen. Außerdem ist in der ersten Etage der
Versammlungsort für einen geschlossenen Club, von dessen Wirksamkeit aber wenig
verlautet. Unsere Illustration zeigt das Estaminet (Abb. siehe nächste Seite),
dem zwar die Wandverzierungen des eigentlichen Cafés fehlen, welche in den
Büsten und Namen zahlreicher Schach-Zelebritäten bestehen, es ist aber der
Mittelpunkt des ganzen Lebens und Treibens, wo die meisten und besten Partien
gespielt werden. Hier ist es, wo täglich von 10 Uhr morgens an, zu jeder
Tageszeit, bis Mitternacht Schach gespielt wird. Einzelne Fanatiker nehmen sich
kaum die Zeit zu einem eiligen Mittagessen in möglichster Nähe, um sofort ihren
Gegner wieder aufzusuchen.
In diesem Zimmer zeigt man noch die marmorne Tischplatte, an der Napoleon I.
gespielt haben soll. Hier saßen die acht Gegner des Amerikaners Paul Morphy am
27. September 1858, die Herren Baucher, Bierwirth, Bornemann, Guibert, Lequesne,
Potier, Preti, Seguin, während Morphy im Billardzimmer seinen Sitz hatte. Der
Ausgang dieses berühmten Blindlingsspieles ist bekannt: von den acht
gleichzeitig gespielten Partien gewann Morphy sechs, nur Lequesne und Guibert
waren so glücklich ein Remis zu erringen. Zehn Stunden dauerte dieser
hartnäckige Kampf (Anm.: Bilder und Beschreibung aus der Zeitung Le Monde Illustré
zu der Blind-Simultan-Partie von Paul Morphy siehe weiter unten auf dieser
Seite).
Unter den Zuschauern fanden sich außer mehreren Schachnotabilitäten, wie Saint-Amant, Laroche n. A., auch der Herzog von Braunschweig (Anm.: Herzog Karl II. von Braunschweig, 1804-1873), ein Nachkomme des berühmten "Gustavus Selenus" und Méry (Anm.: d. i. der franz. Dichter Joseph Méry, 1798 bis 1866), ein beliebter Liederdichter Frankreichs. Dieser hatte einst die Kämpfe zwischen La Bourdonnais und Mac Donnel in einem Epos verherrlicht, und der Herzog war in Paris mit dem Spiele vertraut geworden, da er nebst dem Grafen Isouard (Anm.: Graf Isoard, d. i. Marc Leon Bruno Joseph Gustave d'Isoard-Vauvenargues, 1804 bis 1883) und Casabianca (Anm.: d. i. François-Xavier Joseph de Casabianca, 1796 bis 1881, Minister der Regierung von Napoleon III) manche Konsultationspartien mit Harrwitz gespielt hatte. Beide Herren, der Herzog wie der Dichter, wurden von einem Badeorte am Rhein durch den Telegraphen zur Produktion des Blindlingskampfes herbeigerufen und haben später dem jungen Amerikaner viele schmeichelhafte Aufmerksamkeiten erwiesen (Aus Paul Morphy, Skizzen aus der Schachwelt, II. Teil).
François Casabianca, 1796–1881
Man spielt auf soliden, geräumigen Schachbrettern, welche, zusammengeklappt,
die Figuren enthalten; diese sind aus gedrechseltem Holze, gelb und schwarz,
nach englischem Muster, die sogenannten Staunton Chessmen. Auf dem erhöhten
Rande des Schachbretts sind, jedem Spieler zur Rechten, einige Löcher
angebracht, wo er, gewöhnlich durch ein eingestecktes Zündhölzchen, die Zahl
seiner Siege bezeichnet, so dass der eben ankommende Zuschauer sogleich sieht,
welcher Spieler im Vorteil ist, es müsste denn die erste Partie noch nicht
entschieden sein.
Der Zuschauer des Café de la Régence verdient aber auch, dass man ihm sein
schweres Geschäft durch solche Annehmlichkeiten versüße! Wie vortrefflich er
zusieht! Und es ist bekanntlich nicht leicht, beim Anblick einer interessanten
Stellung die eigenen guten oder schlechten Gedanken niederzukämpfen, und immer
dieselbe unparteiische, ruhige, würdige Haltung zu bewahren. Er gibt dem Spieler
keine heimlichen Ellenbogenstöße und tritt ihm nicht auf den Fuß, um ihn auf
eine drohende Gefahr aufmerksam zu machen; würde etwa ein Fremder sich erlauben,
mit guten Ratschlägen beschwerlich zu fallen, oder nur irgendwie "dreinzureden",
so würde ihn das erste Mal allgemeines unwilliges Gemurmel auf seine
Taktlosigkeit aufmerksam machen, und bei Wiederholung derselben ein dem Kellner
gegebener Wink genügen, den Herrn anderweitig zu platzieren.
Das Bezeichnen der Partien geschieht übrigens nicht eigentlich für die
Zuschauer, sondern vorzüglich um die schließliche Abrechnung zu erleichtern;
denn im Café de la Régence wird allgemein um Geld gespielt, gewöhnlich die
Partie zu 50 Centimes oder zu 1 Franc, doch kommen auch sehr hohe Sätze vor.
Außerdem bezahlt der Verlierende die "frais", das heißt 4 Sous an den Wirt, die
sich erneuern, sobald ein Spieler den Gegner wechselt. Durch das Spielen um Geld
hat sich die Notwendigkeit herausgestellt, die Kräfte zu egalisieren, indem der
Stärkere dem Schwächeren Vorgaben macht, und so sind vier Klassen entstanden,
deren Vertreter unter sich mit gleichen Kräften spielen. Die Vorgaben bestehen
in: Bauer und Zug, Bauer und zwei Züge, Springer (oder Läufer) und Turm.
Dieselbe Vorgabe, die ein Spieler von dem eine Klasse höher stehenden empfängt,
gewährt er dem eine Stufe unter ihm stehenden. Einzelne hervorragende
Erscheinungen sind noch um einen nicht näher zu bestimmenden Grad stärker als
die einmal als Spieler ersten Ranges bezeichneten. Nach Kieseritzkys Tod (Lionel
Kieseritzky, 1805 in Livland; 1853 in Paris)
thronte Harrwitz (Daniel Harrwitz, 1821 in Breslau; 1884 in Bozen) eine geraume Zeit als Unbesiegter in diesen Räumen, bis Morphy
seiner Alleinherrschaft ein schnelles Ende bereitete, dann führte Kolisch (Baron
Ignaz von Kolisch, 1837 in Pressburg; 1889 in Wien) das
Zepter u. s. w.
Die Spieler ersten Ranges haben sich seit einer Reihe von Jahren in ungezählten
Partien ihren Ehrenplatz erkämpft, und wir treffen hier die wohlbekannten Namen
der Herren Laroche, Arnous de Rivière, Journoud, Lecrivain, A. Delannoy,
Budzinsky, Devink (Francois Charles Devinck). Die Spieler zweiten Ranges sind
auch allenfalls noch zu zählen, dann aber kommen die Legionen der unteren
Klassen, deren Namen "kein Sang, kein Heldenbuch" meldet. Nur durch das
interessierte Spiel ist es möglich gewesen, so genau die Spieler zu
klassifizieren, denn obgleich sich jeder selbst in eine beliebige Rubrik bringen
kann, so hütet er sich doch sorgfältig, seine Fähigkeiten zu hoch anzuschlagen,
da er bei jeder Niederlage in die Tasche greifen muss. Eine zweite gute Folge
ist das strenge und regelrechte Spiel. Man besinnt sich ehe man zieht, dann aber
heißt es unerbittlich: pièce touchée - pièce jouée! und das kindische
Zurückgeben von Zügen findet ein für alle Mal nicht statt.
Mitglieder Liste von 1849 vom Cercle des Èchecs de Paris
Jede Schachpartie zu interessieren (natürlich so mäßig, dass das Geld nicht die
Hauptrolle dabei spielt) kann also mit gutem Gewissen empfohlen werden, denn
leider blühen in unserm lieben Deutschland die Missbräuche des "Dreinreden" und
"Zurückgeben von Zügen" in einer Weise, die selbst dem Spiele der Besseren etwas
Dilettantenhaftes gibt. Die einzige üble Folge, die sich im Café de la Régence
bemerklich macht, die aber für deutsche Verhältnisse eben nicht zu fürchten ist,
besteht in dem Vorhandensein einer wenig zahlreichen Spezies von - wie soll ich
sagen? - von Raubrittern, die wie Spinnen auf ihre Beute, auf Neulinge warten,
denen sie einige Francs abnehmen können. Dies sind die eigentlich "routinierten"
Schachspieler (kaum zweiten Ranges), die, da sie "mit allen Hunden gehetzt" sind
und sich ihre Gegner selbst aussuchen, nicht leicht eine Partie verlieren; kommt
es aber dennoch vor, so sind sie auch leicht getröstet und geben das Spiel auf,
sobald sie ihre Stellung als verzweifelt erkennen - denn Zeit ist Geld - um mit
Gedankenschnelle die Figuren zu einer neuen Partie aufzustellen. Ungleich
liebenswürdiger sind sie, wenn sie im raschen Siegeslaufe ihrem Gegner, unter
bewundernder Anerkennung seiner geistreichen Züge, eine Revanchepartie nach der
anderen anbieten können, die alle zu ihrem eigenen Vorteil ausschlagen. Lange
Pausen sind ihnen verhasst, und um dieselben auszufüllen, nehmen sie mit einer
Partie Billard oder Domino fürlieb, worin sie eine gleiche Virtuosität besitzen.
Die jährlich stattfindenden Turniere finden eine zahlreiche Beteiligung, da
durch das ausgleichende System der Vorgaben sich auch den Schwächeren günstige
Chancen darbieten; dagegen schließen sich die ersten Größen häufig aus, wodurch
das Interesse dieser Wettkämpfe wesentlich geschmälert wird.
Auffallend ist es, dass bei einem so regen Schachleben der Versuch, in
Frankreich eine Schachzeitung dauernd zu erhalten, unausführbar erscheint; denn
wie der Palamède und la Régence untergegangen sind, so ist auch die von Herrn
Journoud redigierte, mit trefflichen Beiträgen ausgestattete Zeitschrift la
nouvelle Régence ihren Vorgängerinnen nach kurzer Zeit des Bestehens gefolgt
(Seit dem 1. Oktober 1864 erscheint nun wieder eine neue Schachzeitung: le
Palamède Français, die aber zugleich andere Spiele, Whist, Billard etc. mit
berücksichtigt). Das ist wieder ein schlagender Beweis dafür, dass die
französische Zentralisation zwar alle Kräfte in das glänzende Licht stellt, aber
durch das Imponierende dieser Erscheinung über die wahren Zustände des Landes
täuscht. Was das Schachleben betrifft, so bedeutet das Café de la Régence -
Frankreich, wie es im allgemeinen Sinn heißt: Paris ist Frankreich.
Werfen wir hiernach einen vergleichenden Blick auf Deutschland, so finden wir
das Interesse für das Schachspiel in ungleich größerem Maße verbreitet und bis
in die entlegensten Winkel verteilt, das bestätigt die seit einer Reihe von
Jahren in Deutschland erscheinende Schachzeitung, der sich neuerdings sogar eine
zweite beigesellt hat, außerdem bringt die Leipziger Illustrirte Zeitung seit
1843 wöchentlich ihren Lesern eine Schachaufgabe, und verschiedene andere
Blätter sind seitdem ihrem Beispiele gefolgt. Was uns fehlt, ist nur ein
Kulminationspunkt wie das Café de la Régence, dessen Reiz durch eine Fülle von
historischen Erinnerungen noch erhöht wird."
Detail aus dem Café de la Régence 1858 anlässlich des
Blind-Simultan-Schachspiels von Paul Morphy
Hier folgt der Text in französischer Sprache aus der Zeitung Le Monde Illustré No. 79
vom 16. Oktober 1858 von Seite 256
Le café de la Régence, cette académie de l'échiquier, offre aujourd'hui un
véritable congrès de cette corporation savante qui vénère pour patron, – patron
un peu païen, – l'illustre fils de Nauplius (le Palamède). Tout le sport des
deux mondes y est représenté chaque soir par ses plus forts joueurs d'échecs.
Notre gravure reproduit un des incidents les plus frappants de cette session. Ce
sont les huit parties que M. Morphy a jouées simultanément, et à l'aveugle,
contre huit des plus forts échiquistes de Paris: MM. Baucher, Bierwirth,
Bornemann, Guibert, Lequesne, Potier, Preti et Seguin. M. Morphy, assis dans un
fauteuil qu'il n'a pas quitté pendant tout le temps de la lutte, le visage
tourné vers le mur et sans autre aide que sa mémoire, a engage le conflit avec
une lucidité que n'a pas voilé le moindre nuage. A sept heures, il prenait
vigoureusement l'offensive; à huit heures, un des joueurs les plus savants, M.
le professeur Preti, bien connu par son habileté pratique et par ses ouvrages
spéciaux, était mis hors de combat; MM. Potier, Bornemann et Baucher
succombaient ensuite; à neuf heures et demie, M. Lequesne, notre célèbre
statuaire, faisait accepter l'annulation de sa partie, exemple que suivait M.
Guibert, après avoir vu M. Bierwirth renoncer à la sienne; à dix heures, enfin,
M. Seguin, n'ayant plus qu'un pion et son roi, abandonnait le champ de bataille
où M. Morphy venait de reconquérir sa dame. Des applaudissements enthousiastes
saluaient ce triomphe qui, outre le mérite de ces six victoires, offrait un
phénomène de puissance mnémonique sans exemple.
Cet épisode n'a pas cependant été le fait le plus important de ce congrès: le
fait capital a été, sans nul doute, ce match en sept parties, engagé entre le
célèbre joueur américain et M. Harrwitz de Berlin, dont la réputation est
universelle. Voici en quels termes un écrivain, qui est une autorité spéciale,
apprécie les deux joueurs:
« Tous deux sont jeunes et petits, le Prussien a vingt-sept ans; il est brun,
porte une fine moustache noire, et le galbe de sa tête rappelle Armand Carrel;
il est légèrement voûté. Son adversaire, M. Morphy, l'Américain, a vingt-deux
ans, il est sans barbe, son teint est blanc mat; sa jeunesse, sa tournure, lui
donnent assez l'air d'un collégien. Tous deux sont calmes et impassibles devant
l'échiquier; ils n'ont rien du Yankee et du Gascon berlinois ... »
« Si M. Morphy est doué de la faculté de porter des attaques terribles et en
même temps de se ménager des retraites faciles et assurées, M. Harrwitz est
plein de ressources et de finesses charmantes dans la défense. On compare l'un
des champions au bouillant Condé, l'autre à Turenne ou à Vauban ... »
L'un des joueurs lui-même, M. Harrwitz, qui veut bien nous donner sa
collaboration, exposera, dans nous prochain numéro, la première partie de ce
match, acquit sa santé l'a force de renoncer, et dont M. Morphy un gré son
avantage, a prononcé courtoisement l'annulation.
Paul Morphy - Holzstich aus der Zeitung Le Monde vom 16. Oktober 1858, Seite 249
Namen der Schachspieler im Café de la Régence ab ca. 1870
Bitte lesen Sie auch den Bericht des Berliner Schachmeisters Jean Dufresne auf meiner Seite Jean Dufresne und die Schachmeister
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und meine Seite Schachclubs und Schachcafés in Berlin
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Zusammengestellung, Anmerkungen und Fotos von Elke Rehder, Juni 2018