Schachphilosophie - Philosophische Betrachtungen über das Schachspiel von Elke Rehder |
Die Einteilung der Schachfiguren in Klassen und die Gegnerschaft der beiden Heere hat schon immer zu philosophischen Betrachtungen angeregt. Dabei wurden soziale, moralische, gesellschaftliche und politische Gleichnisse entwickelt und das Schachspiel auch als Spiegelbild des Lebens gesehen. Das Schach ist wie das Leben oder wie das Theater. Die 64 Felder des Schachbrettes sind die Bühne des Theaters. Eröffnung, Mittelspiel und Endspiel sind wie ein Drama in drei Akten, das meist mit dem Tod eines Königs endet. Theater und Schach sind die Quellen künstlerischer und philosophischer Emotionen, die nicht selten in den Wahnsinn führen. In einem meiner Holzschnitte zur Schachnovelle von Stefan Zweig habe ich dieses Phänomen als "Schachwut"
benannt.
Als Synonym würde ich es auch als Schach-Rage, Schach-Raserei, Schach-Fieber, Schach-Vergiftung oder Schach-Sucht bezeichnen und denke
beim Schach diesbezüglich an Paul Morphy, Wilhelm Steinitz und Bobby Fischer
und beim Theater an August Strindberg und Antonin Artaud. Diesen Absatz möchte ich mit dem Ausspruch des großen Magiers des Theaters Fernando Arrabal abschließen: "Schach und Theater - das sind die Künste der Dissidenten, der Mystiker und Andersgläubigen, der Libertären und Propheten, der Fischers und Ionescos, Morphys und Kortschnois."
Das Schachspiel stammt mit großer Wahrscheinlichkeit ursprünglich aus Indien. Im Mittelalter wurde es von den Persern und Arabern nach Westeuropa weitergegeben. Den Ausdruck "Schachmatt" verdanken wir den Persern "Shah = König" und den Arabern "mat = er ist tot". In der Renaissance wurden einige der Spielregeln des Schachs geändert.
Beispielsweise erhielten die Dame und der Läufer mehr Mobilität.
Im orientalischen Schach ist die Spielfigur der Dame nicht mit einer Königin
gleichzusetzen. Die Figur war der Berater bzw. ein Minister des Königs (persisch = fersan). Der persische Ausdruck "fersan"
wurde dann im alten Spanien zu "alferga" und weiter in Richtung Frankreich
zu dem alt-französischen "fierge" (Jungfer). Die Zuerkennung solch einer
dominierenden Rolle für die Frau des Königs entspricht der Haltung von
Ritterlichkeit. Der persisch-arabische Einfluss brachte mit dem
Schachspiel auch die Grundregeln der Ritterlichkeit in die europäische Kultur.
Kurz erwähnen möchte ich auch das Würfelvierschach, welches zuerst in Indien beschrieben wurde. Es geht vermutlich auf das Jahr 1030 zurück. Von den vier Spielern verfügt jeder über 8 Spielfiguren. Ein Würfel entscheidet, mit welcher Figur gezogen werden darf. Einige Schachhistoriker sind der Meinung, dass dies die ältere Variante des Schachspiels sei.
Der Läufer war ursprünglich ein Elefant mit einem Wehrturm auf dem Rücken (arabisch: Al-fil). Im Spanischen wird der Läufer noch heute "Alfil" genannt. Die vereinfachte Darstellung eines Elefantenkopfes in einigen mittelalterlichen Manuskripten konnte entweder für die Kappe eines Dummkopfes oder für die Mitra eines Bischofs gehalten werden. Daher wird der Läufer
im Französischen als "Fou" (Narr) und im Englischen als "Bishop"
bezeichnet. Wer sich für die internationalen Bezeichnungen der
Schachfiguren interessiert, siehe bitte auf meine Seite
Schachfiguren
Das Schachspiel bekam in Europa eine mehr abstrakte und mathematische Prägung, ohne jedoch die wesentlichen Eigenschaften zu verlieren. In der Ausgangsstellung der Schachfiguren blieb das alte strategische Modell bestehen. Die beiden Armeen sind in Schlachtordnung aufgestellt.
Lesen Sie hierzu
auch das Gedicht "Das Schachspiel" von Gottlieb Konrad Pfeffel auf
meiner Seite Poesie und Lyrik zum Schach
Wie üblich, bildet die erste Linie das Fußvolk, vertreten durch die Bauern. Sie sind in Masse vorhanden. Der Hauptteil der Armee besteht aus den schweren Truppen. Dies sind die Kriegswagen (Türme), Pferde (Springer) und Kriegselefanten (Läufer). Der König und sein engster Berater, die Dame, sind in der Mitte der Truppen positioniert.
Das Schachspiel wurde erstmals 1616 in deutscher Sprache in einem Buch
beschrieben. Verfasser ist Gustavus Selenus d. i. August der Jüngere
oder auch August II. (* 10. April 1579 in Dannenberg; † 17. September
1666 in Wolfenbüttel), Herzog zu Braunschweig-Lüneburg und später Fürst
von Braunschweig-Wolfenbüttel. Der Titel des 495 Seiten starken Buches
lautet Das Schach- oder König-Spiel. Das Buch ist in bedeutenden
Bibliotheken und im Schachmuseum Löberitz verfügbar. Das
Schachmuseum Löberitz ist ein Regionalmuseum in der Stadt Zörbig
(Ortschaft Löberitz) im Landkreis Anhalt-Bitterfeld, Sachsen-Anhalt.
Ansprechpartner für das Schachmuseum ist Herr Konrad Reiß.
1710 veröffentlichte Gottfried Wilhelm Leibniz seine Annotatio de quibusdam ludis. Es sind kurze Anmerkungen zu bestimmten Spielen, insbesondere über ein bestimmtes chinesisches Spiel (das Go-Spiel), den Unterschied zwischen dem Schachspiel und dem Latrunculi, sowie eine kurze Beschreibung des Brettspiels Dame, des neu erfundenen Brettspiels Solitaire und eine neue Art von Marine-Spiel.
1803 erschien ein Roman in Briefform mit dem Titel Anastasia und das
Schachspiel. Verfasser ist der deutsche Schriftsteller Johann Jakob
Wilhelm Heinse (1746–1803). Die folgende Textstelle in Band 1 auf Seite
18-19 zeigt seine Sichtweise in Bezug auf das Schachspiel:
»Ob ich nach Philidor gespielt habe, weiß ich nicht; denn es ist sehr
lange, daß ich sein System, wenn er eins hat, und wenn es überhaupt eins
gibt, durchgegangen bin. Wenn es eins gibt, und wenn derjenige, mit dem
man spielt, es weiß: so ist es wenigstens für diesen kein Spiel mehr, so
wenig, als die Berechnung irgend eines mathematischen Problems. Keiner
hat auch noch zur Bestätigung der Meinung des Leibnitz bewiesen, daß er
eine vollständige Wissenschaft vom Schachspiel besitze. Und dies ist,
dünkt mich, der schönste Lobspruch des Spiels; denn Spiel soll Spiel
seyn, etwas Ungewisses, wie bei den Wetten, und keine Wissenschaft.«
Zu der Frage, ob das Schachspiel Analogien zu unserem Leben aufweist, finden Sie auf meiner Seite Gedanken einige Ausführungen. Bei dem bereits erwähnten Würfelvierschach wird ein Vergleich zu unserem Alltagsleben wieder deutlich. Auch in unserem Leben spielt das Glück oftmals eine entscheidende Rolle. Trotz optimaler Planung und strategischer Überlegung verdanken wir dem Glück so manchen Gewinn und im umgekehrten Sinne dem Unglück so manchen Verlust. Die Kombination von Strategie und Glück im Schachspiel ist eine Erweiterung des rein rationellen Spiels. Interessanterweise gibt es seit 2010 ein steigendes Interesse nach einem Schachspiel mit Glücksspielvariante. Unter dem Namen Raindropchess (Regentropfenschach) wird diese neue Variante des Schachspiels bereits in mehreren Ländern gespielt. Wie Regentropfen fallen die Schachfiguren "vom Himmel". Anstelle der Würfel, wird das Schicksal von Karten beeinflusst. Bitte schauen Sie sich hierzu die folgende Seite des Spiele-Herstellers www.raindropchess.com
Die älteste Beschreibung des Schachspiels stammt aus dem Buch "Die
goldenen Wiesen und Edelsteingruben" (auch: "Die Goldwiesen ...) des arabischen Historikers al-Mas'udi
(ca. 895-957 n. Chr.). Er schreibt die Erfindung des Schachspiels dem indischen König Balhit
zu. Der brahmanische Ursprung des Schachspiels ist durch das als besonders heilig angesehene Schema von 8 x 8 Quadraten zu vermuten.
Die Hindus schreiben der Verdopplung, die durch die geometrische Steigerung auf den Quadraten des Schachbrettes erfolgt, eine geheimnisvolle Bedeutung zu. Die berühmte Legende ist sicherlich bekannt, in dem der Erfinder des Schachspiels den Monarchen bittet, die Quadrate seines Schachbrettes mit
Reiskörnern zu füllen, indem er ein Korn auf das erste, zwei auf das folgende, vier das dritte, und so weiter bis zum vierundsechzigsten Quadrat legt, welches die Summe von 18.446.744.073.709.551.616 Körnern
ergibt, also 18 Trillionen 446 Billiarden 744 Billionnen 73 Milliarden 709
Millionen 551 Tausend und 616 Reiskörner. Dies ist die maximale Anzahl
binärer Werte, die eine 64-Bit-Variable annehmen kann und vielleicht ist
dies auch die Anzahl möglicher Planeten in unserem Universum. Die
buddhistische Lehre beinhaltet eine Folge von 64 Weltzerstörungen.
Mein aktueller Computer arbeitet mit einem 64-Bit-Prozessor, der ein
64-Bit Betriebssystem (windows 64 bit) und die entsprechenden Programme
bedingt. Äquivalent dazu sehe ich mein altes hölzernes Schachbrett mit
den 64 Quadraten.
Die Symbolik des Schachbrettes war auch dem König Alfons X. (Alphonsus der Kluge) bekannt. Der berühmte Minnesänger aus Kastilien verfasste 1283 die "Libros de Acedrex". Dieses Werk bezieht sich weitgehend auf orientalische Quellen. Alphonsus
der Kluge beschreibt auch eine sehr alte Variante des Schachspiels, das
"Spiel der vier Jahreszeiten", das von vier Spielern gespielt wurde. Die
Spielsteine, welche in den vier Ecken des Schachbrettes angeordnet sind,
bewegen sich analog zur Bewegung der Sonne. Die 4 x 8 Steine haben die
Farben Grün, Rot, Schwarz und Weiß. Diese Farben entsprechen dem Zyklus
der vier Jahreszeiten: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Sie
entsprechen aber auch der Lehre von den vier Elementen Luft, Feuer, Erde
und Wasser, die im 5. Jahrhundert der christilichen Zeitrechnung
von dem griechischen Naturphilosophen Empedokles verbreitet wurde und
von den Philosophen Platon und Aristoteles weiterentwickelt wurde.
Diesen vier Grundelementen können Tierkreiszeichen, Himmelsrichtungen
und Eigenschaften zugeordnet werden.
1666 veröffentlichte Gottfried Wilhelm Leibniz in seiner Dissertatio de arte combinatoria die Idee von einer allgemeinen Zeichensprache (Characteristica universalis), die weltweit verstanden würde. Dieses mathematisch-logische Alphabet des menschlichen Denkens sollte der Allgemeinwissenschaft (Scientia generalis) dienen, welche sämtliche Einzelwissenschaften in sich vereint. Im Sommer 1683 verfasste Leibniz ein Manuskript zu einem geplanten Buchprojekt zur Elementa Nova Matheseos Universalis und vermerkt im Rand des Blattes eine kurze Notiz in Bezug auf das Schachspiel. In seiner Notiz vermerkt er als praktisches Beispiel, dass die Elemente einer Universalmathematik es ermöglichen können, eine Zeichensprache zu interpretieren, das Schachspiel zu spielen und andere Dinge solcher Art.
Das Schachspiel wird nicht automatisch zur Wissenschaft, nur weil die Geometrie des Schachbrettes auch als Experimentierfeld für kombinatorische Probleme genutzt werden kann, wie beispielsweise die Behandlung des Springerproblems im Jahre 1759 durch den Mathematiker Leonhard Euler.
Infolge zunehmender Rechenstärke der Computer ist der Mensch der Maschine unterlegen. Für den Menschen geht der eigentliche Reiz des Spiels verloren, wenn eines Tages nur noch Maschinen gegeneinander spielen würden.
Das Schachspiel selbst ist keine Wissenschaft und man kann dieses Spiel auch nur sehr eingeschränkt mathematisch behandeln. Gottfried Wilhelm Leibniz wusste dies. Abgesehen von der Unmöglichkeit, alle nur denkbaren Züge mittels eines Computers berechnen zu können, bleibt beim Schachspiel der Faktor Mensch unberechenbar.
Die Beziehung zwischen Wille und Schicksal wird unmissverständlich durch das Schachspiel veranschaulicht, insofern als seine Züge immer verständlich bleiben, ohne in ihren Variationen eingeschränkt zu sein. Alphonsus der Kluge berichtet in seinem Buch über das Schach, wie ein König aus Indien wissen wollte, ob die Welt der Intelligenz oder dem Zufall folgen würde. Zwei weise Männer, seine Berater, gaben gegensätzliche Antworten, und um ihre jeweiligen Thesen zu beweisen, nahm einer von ihnen als sein Beispiel das Schachspiel, in dem Intelligenz über Zufall vorherrscht, während der andere Würfel herstellte, das Symbol für Fatalität
(Schicksalhaftigkeit, Unausweichlichkeit, Vorbestimmtheit).
Der Historiker al-Mas'udi schreibt, dass der König Balhit dem Schachspiel gegenüber dem Glücksspiel den Vorzug gab, weil im ersteren die Klugheit immer über die Unwissenheit triumphiert.
In jedem Stadium des Spiels hat der Spieler die Freiheit, zwischen mehreren Möglichkeiten zu wählen. Aber jeder Zug hat eine Reihe unvermeidbarer Konsequenzen, so dass der Sachzwang in zunehmendem Maße die freie Wahl begrenzt, wobei das Spielende nicht das Resultat der eingegangenen Wagnisse ist, sondern der rigorosen Gesetze
(Schachregeln).
Hier ist nicht nur die Beziehung zwischen Wille und Schicksal sondern auch zwischen Freiheit und Wissen zu sehen. Außer im Falle einer Unachtsamkeit seitens des Gegners, will der Spieler nur seine Handlungsfreiheit schützen, wenn seine Entscheidungen die in der Natur des Spiels gegebenen Möglichkeiten mit einbeziehen. Mit anderen Worten ist die Handlungsfreiheit hier eng verbunden mit der Vorhersehbarkeit und
der Kenntnis der Möglichkeiten. Umgekehrt wird blinder Antrieb, der beim ersten Eindruck gleichwohl frei und spontan erscheinen mag, im abschließenden Resultat als Eingeschränktheit aufgedeckt.
Die königliche Kunst ist, die Welt - außerhalb und innerhalb - in Übereinstimmung mit seinen eigenen Gesetzen zu regeln. Diese Kunst setzt Klugheit voraus, die im Wissen von Möglichkeiten fundiert ist.
Remis - Kunst zum Schach von Elke Rehder
Das Internationale Olympische Komitee hat 1999 das Schachspiel als Sportart anerkannt. Wie jede andere Sportart kann auch das Schachspiel aus reinem Vergnügen und/oder ernsthaft als Profisport betrieben werden. Statt ernsthaft hätte ich in diesem Fall das Wort wissenschaftlich gebrauchen können. Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert wird "wissenschaftlich" gern als Synonym für ernsthaft, methodisch, theoretisch oder gelehrt verwendet, was zu Missverständnissen führen kann. Jede Sportart, so auch das Schachspiel, lässt sich sportwissenschaftlich betrachten. Die Sportwissenschaft zählt zu den interdisziplinären Wissenschaften. Es handelt sich um ein fachübergreifendes Wissenschaftsgebiet, welches jedoch nicht den Rang einer akademischen Disziplin hat, wie beispielsweise die Geisteswissenschaften, Naturwissenschaften, Humanwissenschaften oder die Philosophie.
Die Form des Schachbrettes entspricht der klassischen Art eines Mandalas, also eines Schemas, das in der indischen
Architektur auch den Grundriss eines Tempels oder einer Stadt festlegt. Der Kampf, der im Schachspiel stattfindet, stellt in der indischen Mythologie den Kampf der Götter mit den Titanen dar. Demnach würden auf unserem heutigen Schachbrett Schwarz und Weiß vermutlich den Kampf zwischen den himmlischen und den dunklen Mächten symbolisieren.
Buddhistische Texte beschreiben das Universum als Brett von 8 x 8 Quadraten, durch goldene Schnüre befestigt. Auch in der chinesischen Tradition sind es 64 Zeichen, die von den 8 Trigrams erklärt werden. Diese 64 Zeichen werden generell so angeordnet, dass sie den acht Regionen des Raumes entsprechen. Ying und Yang im Feng Shui sind die Idee von einer vier- und einer achtteiligen Unterteilung des Raumes, die alle Aspekte des Universums umfasst.
Das Schachbrett kann als die Erweiterung eines Diagramms angesehen werden, welches durch vier Quadrate gebildet wird. Die Abwechslung der schwarzen und weißen Quadrate in diesem grundlegenden Diagramm des Schachbrettes macht die zyklische Bedeutung klar und bildet somit das rechteckige Äquivalent des fernöstlichen Symbols von Ying
und Yang. Es ist ein Bild der Welt in seinem grundlegenden Dualismus. Im Allgemeinen entspricht der Wechsel von Schwarz und Weiß dem Rhythmus von Tag und Nacht, von Leben und Tod.
Es zeigt sich, dass die Symbolik von Schwarz und Weiß, die sich bereits in den Quadraten des Schachbrettes
manifestiert, auch in den schwarzen und weißen Schachfiguren ihre volle Bedeutung erlangt. Die weiße Armee ist die des
Lichtes und die schwarze Armee ist die der Finsternis. Die auf dem
Schachbrett stattfindende Partie symbolisiert den Kampf zweier Verbände, von denen jeder im Namen eines Leitgedankens kämpft
(militärisch, politisch, ökonomisch etc.). Spirituell könnte es auch ein Kampf zwischen
der Seele und dem Teufel sein.
Wird die Bedeutung der Schachfiguren auf die spirituelle Ebene gehoben, ist die Figur des Königs das Herz oder der Geist. Die übrigen Figuren sind die verschiedenen Bereiche der
Seele mit unterschiedlichen Kräften. Die axiale Bewegung des Turmes, welche die unterschiedlichem Farben durchschneidet, ist logisch und männlich, während die diagonale Bewegung
des Läufers auf einer Farbe einer existentiellen und folglich weiblichen Kontinuität entspricht. Der Sprung des Springers entspricht der Intuition.
Kampfspiel preis' ich im Lied und ein Abbild wirklichen Krieges,
Kämpfer aus künstlichem Holz und ein Spiel um der Könige Herrschaft ...
(Anfang des Schachgedichtes von Hieronymus Vida)
Das Schachspiel war ein geeignetes Mittel zur Strategie-Schulung von
Königen, Prinzen, Fürsten und deren Generälen. Der arabische Historiker al-Mas'udi schreibt, dass die Hindus das Schachspiel ("Shatran" abgeleitet aus dem Sanskrit "Chaturanga") als eine "Schule der Führung und Verteidigung" ansahen. Das Wort "Chaturanga" bezeichnet die traditionelle hinduistische Armee, bestehend aus den vier "angas", den Elefanten, Pferden, Streitwagen und Soldaten.
Der Einsatz des Schachspieles zur militärischen Schulung von Offizieren kam später auch in Europa zur Anwendung.
1664 schrieb Christoph Weickhmann (* 1617 in Ulm; † 1681 ebenda) sein
Buch New-erfundenes Großes Königs-Spiel. Beim diesem Spiel gibt
es vierzehn Figuren, die wie folgt bezeichnet werden: König, Marschall,
Kanzler, Rat, Herold, Geistlicher, Colonel (Oberst), Reiterhauptmann,
Ritter, Kurier, Ajutant, Trabant, Leibschütz und Soldat. Weickhmanns
Großes König-Spiel wurde als Kriegsspiel konzipiert. Dies wird im
zweiten Teil des Buches deutlich, wo Regiments- und Kriegsregeln
vorgestellt werden. Das Buch sollte ein Beitrag zur Stärkung
militärischer Effizienz und Verteidigungsfähigkeit sein. Das Buch
erschien in einer Zeit, wo man noch von der Kriegskunst sprach und
darüber philosophierte. Bis in das 19. Jahrhundert bedienten sich
Militärwissenschaftler auch des Schachspiels, wenn es im Unterricht an
den Militärakademien um Taktik, Strategie, Pflicht, Gehorsam und
Disziplin ging.
Wegen der zunehmenden Bedrohung des Heiligen Römischen Reiches durch die Arrondierungs- und Expansionspolitik Ludwig XIV. machte der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz 1681 Vorschläge für eine Kriegsverfassung und zum Kriegswesen. In seinem Manuskript nennt Leibniz ein neu erfundenes Kriegsspiel, mit dem militärische Befehlshaber, anstatt sich im Schach- und Kartenspiel zu üben, zu großer Wissenschaft (im Sinne von Wissen), Geschwindigkeit (schnelles Denk-vermögen) und Erfindung (Kreativität) kommen können.
Gottlieb Konrad Pfeffel (1736-1809), dessen Gedicht "Das Schachspiel" ich als Künstlerin illustriert habe, war nicht nur Dichter sondern auch Militärwissenschaftler. 1773 gründete er in Colmar die "Acadèmie Militaire", eine Schule für adlige Jünglinge. Sehen Sie bitte hierzu auch die folgende Seite auf meiner Homepage Gottlieb Konrad Pfeffel
Der Künstler und Schachspieler Marcel Duchamp ging bei einer Schachpartie lieber Risiken ein, um eine "schöne Partie" zu spielen. Er liebte wohl mehr das romantische Schach als die von Wilhelm Steinitz entwickelten Regeln des Positionsspiels. Ich entnehme dies unter anderem aus den nachfolgenden Zitaten Duchamps:
"Eine Schachpartie ist von einer großen Plastizität. Man konstruiert sie; sie ist eine mechanische Plastik. Mit dem Schach kreiert man schöne Probleme, und seine Schönheit wird mit dem Kopf und den Händen gemacht..."
"Ich glaube in der Tat, dass jeder Schachspieler ein Gemisch zweier ästhetischer Vergnügen erfährt: erstens das abstrakte Bild, verwandt mit der poetischen Idee beim Schreiben; zweitens das sinnliche Vergnügen der idiographischen Ausführung dieses Bildes auf den Schachbrettern."
"Wenn auch nicht alle Künstler Schachspieler sind, so sind doch alle Schachspieler Künstler."
Wer sich für das Thema Schach in der Kunst interessiert, sollte bei seiner
Suche im Internet die folgenden Suchbegriffe
eingeben:
Der isolierte Bauer - Kunst zum Schach von Elke Rehder
Beginnen möchte ich mit einem Zitat von Prof. Dr. Christian Hesse aus seinem Buch "Expeditionen in die Schachwelt", welches bei Chessgate in Nettetal erschienen ist. In meinem Bücherschrank hat die 2. überarbeitete Auflage von 2007 einen Platz in der Abteilung Schach-Philosophie ganz vorne. Christian Hesse beschreibt das Schachspiel unter den Spielen als einzigartig: "Es ist ein in sich abgeschlossenes Modell des Lebens und der Welt im Kleinen. Trotz der Begrenzung des Spielplatzes auf nur 64 Felder und der möglichen Verhaltensweisen auf nur wenige klare und übersichtliche Zugregeln ist es in einer ans Wunderbare grenzenden Weise komplex und so vielschichtig, dass es in symbolischer Form Grundaspekte der menschlichen Existenz widerzuspiegeln vermag. Schach ist eine geistige Kampfsportart und gleichzeitig ein Resonanzboden für Ästhetik, Leidenschaft und intellektuelles Heldentum, ein Königreich voller Ideen, Emotionen, Imaginationen, von einmaligen Einblicken, links- und rechtshemisphärischer Denkaktivität, von gebündelter Kreativität und wunderbarer Harmonie zwischen logischen und paradoxen Elementen."
Zur Kulturgeschichte des Spiels besitze ich in meinem Bücherschrank die deutsche und die englischsprachige Ausgabe von "Homo Ludens" von Johan Huizinga. Der 1872 geborene niederländische Kulturhistoriker hat der Welt ein grundlegendes Werk über die Rolle des Spiels (nicht nur des Schachspiels) in allen Kulturbereichen hinterlassen. Wenn ich etwas über die Ursprünge von Spielen und der Spielformen erfahren möchte, schlage ich in diesem Standardwerk nach.
Speziell zur Schachphilosophie besitze ich die Bände von Dr. Fritz Siebert
"Zur Philosophie des Schachs", die im Schachverlag Heinz Loeffler in Bad Nauheim erschienen sind bzw. als erweiterte Auflage im Schachverlag Kurt Rattmann in Hamburg.
Der 1. Band vom Wesen und Ursprung des Schachs beinhaltet die Kapitel
- Schach als Sinnenerscheinung
- Schach als Spiel des reinen Verstandes
- Schach als Ausdrucksmittel des Geistes
Der 2. Band behandelt die Prinzipien des Schachspiels (auf der Grundlage der Kampfesphilosophie von Emanuel Lasker):
- Das Gesetz der Erhaltung der Energie
- Prinzip der Kompensation
- Schach als Gleichgewichtsspiel
- Prinzip der Proportion
- Die äußeren Elemente und das spezifische Element des Schachs
- Wesen der Übergänge und der Kombination
- Prinzip der Ökonomie
- Wertcharaktere der Figuren
- Begriff des Opfers
- Das psychologische Schach
- Geltungsrecht der schachlichen Maximen
- Von Anderssen bis Lasker und zum neu-romantischen Schach
- Die russische Schachschule.
Der 3. Band "Unser Handeln im Schach"
- Der Wille zur Macht und Übermacht
- Schach als Spiel und Sport
- Der Wille zur Wissenschaft, zur Kunst und zum Selbst.
Von Dr. Fritz Siebert ist 1977 im Verlag von Friedrich Schaumburg in Stade noch der Band "Skizzen und Studien zur Schachphilosophie" erschienen. Dieser enthält einen Beitrag von Professor Pavle Bidev, Skopje: Die Siebertsche und meine Philosophie des Schachs. Eine vergleichende Darstellung und kritische Wertung. Das Buch enthält
- naturwissenschaftliche Betrachtungen zum Schach
- das Gesetz der Erhaltung der Energie als schachphilosophisches Prinzip
- der Vergleich des Schachspiels 1851 mit heute
- einen Epilog über das Prinzip der geringsten Wirkung in der Theorie des Kampfes
- eine Abhandlung über die Schönheit und Unerschöpflichkeit des Schachs
- Bemerkungen zur Schachnovelle von Stefan Zweig
- Bausteine zu einer Schachästhetik und Gedankenästhetik
- Alfred Brinckmann und sein schachphilosophisches Vermächtnis
- zu Ludwig Wittgensteins Schachtheorie der Sprache.
Für Einsteiger in das komplexe Thema der Schachphilosophie empfehle ich ein Buch von Josef Seifert. Seifert ist Professor für Philosophie mit besonderer Berücksichtigung der Erkenntnistheorie, Metaphysik und philosophischen Anthropologie. Sein Buch "Schachphilosophie - Ein Buch für Schachspieler, Philosophen und normale Leute" ist als Taschenbuch in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft 1989 in Darmstadt erschienen. Das Buch handelt im ersten Kapitel von der Eigenart und Faszinationskraft des Schachspiels.
1. Astronomische Fülle möglicher Positionen und Spiele
2. Die Geregeltheit, Intelligibilität und Logik des Schachspiels
3. Notwendige und frei gewählte Ziele und Züge - das Schachspiel als Lösung der scheinbaren kantischen Antinomie von schöpferischer Freiheit und notwendiger Regelhaftigkeit
4. Das Ganzheitsprinzip und die Relativität - Rationalität der materialen und positionellen Werte beim Schachspiel
5. Die Dialektik von strenger Vorhersehbarkeit und Überraschung
6. Pluridimensionalität der Regeln und Dynamik des Schachspiels: Die Kunst des Schachs als Analogie zur Detektiv- und Feldherrenkunst
7. Die Anziehungskraft der konzentrierten Stille des Nachdenkens und möglicher Formen der Kommunikation
8. Siegesabsicht, Wettbewerb, Kräftemessen und allgemeinere Momente der Faszinationskraft des Spiels
9. Schach als Problemschach - Quasi-Wissenschaft und rationales Rätsel
Im zweiten Kapitel wird die Frage nach der Art der Gesetze des Schachspiels gestellt und die ontologischen und epistemologischen Aspekte des Schachspiels betrachtet
1. Konventionelle Regeln und Elemente
2. Anwendung allgemeiner logischer, ontischer und mathematischer Wesensgesetze im Schach
3. Notwendige Eigengesetze des Schach, die in der Verbindung zwischen konventionellen Schachregeln, material-inhaltlichen, mathematischen und logischen Gesetzen wurzeln
etc.
Im dritten Kapitel werden empirische und apriorische Erkenntnisse zum Schach geliefert wie beispielsweise die Erkenntnis der notwendigen Gesetze des Schachspiels als Musterbeispiel "synthetischer apriorischer Erkenntnis" und als Wesenserkenntnis ...etc.
Im vierten Kapitel folgt eine Abhandlung zu einer Ethik des Schachspiels. Die besonderen quasi-moralischen und moralischen Tugenden und Untugenden des Schachspielers: Das Schachspiel als Versuchung oder als ethischer Lehrmeister des Schachspielers ...etc.
Im fünften Kapitel folgen vier Punkte zum Thema Schach, Kunst und Leben
1. Schach und Kunstwerk
2. Analogie des Schachspiels für das Leben und das Schachspiel als Illustration der Notwendigkeit des "hermeneutischen Zirkels"
3. Schach, Tod und Liebe. Religiöse Deutungen und Analogien
4. Philosophische Aspekte des Schachspiels als Analogie für das Leben
Im sechsten und letzten Kapitel wird die Frage gestellt, ob sich der Schachspieler durch den Computer verdrängen lässt und zur Kritik des funktionalistischen Materialismus, der den Menschen nach dem Computermodell deutet. Es folgt eine phänomenologische Betrachtung des Unterschiedes zwischen Mensch und Computer und die Behandlung der Fragen bezüglich künstlicher Intelligenz, kunstreicher Intelligenzentlastung, Verkörperung oder Simulierung von Intelligenz.