Schachbetrug in der Geschichte des Schachspiels |
Eine am 5. Juli 1845 in der Leipziger Illustrierten Zeitung erschienene Erzählung mit dem Titel "Schachbetrug" ist gleichzeitig Namensgeberin für meinen Beitrag. Betrug ist hier nicht im juristischen Sinne gemeint. Kurz gesagt handelt es sich hier um die bewusste Täuschung anderer. Dies kann geschehen durch Vorspiegelung falscher Tatsachen oder auch durch Verwendung unerlaubter Hilfsmittel. Die Betrugsmöglichkeiten werden mit der fortschreitenden Entwicklung elektronischer Medien immer vielfältiger. Man denke an die technischen Manipulationsmöglichkeiten mittels eines Schachcomputers bei Schachturnieren. Damit meine ich nicht, dass man mit seinem Pocket Fritz mal kurz auf die Toilette geht. Denkbar wären beispielsweise Zeichen für den Schachspieler durch eine Person aus dem Publikum, die wiederum mit einer räumlich entfernten Person am Computer verbunden ist. Datenübertragung per Funk macht fast alles möglich. Nicht nur bei Turnieren, auch beim Online-Schach sind elektronische Manipulationen möglich. Nicht nur durch Spezialsoftware sondern auch auf dem Server. Die Apparate der Hörgeräteakustiker werden immer kleiner. Miniaturkameras schrumpfen auf die Größe eines Stecknadelkopfes. Bluetooth und WLAN war gestern, jetzt gibt es die Datenbrille Google Glass, was kommt morgen?
In der Vergangenheit gab es schon immer Betrügereien beim Spiel, nicht nur beim Kartenspiel, sondern auch beim Schachspiel. Lesen Sie also bitte den folgenden Fall eines Schachbetruges aus der Illustrirten Zeitung von 1845:
Sir George Bell, im Herzen die Menschenfreundlichkeit und in den Füßen das Podagra (Med. Fußgicht), war so glücklich, bei seinem Aufenthalte in einem deutschen Bade einen Schneider zu finden, der mit ihm Schach spielte. Nur mit dem Krückenstocke brauchte er zu pochen, sogleich flog der Schneider, sein Wirt, herbei und zwar auf den Flügeln der Hoffnung; denn es war ein Louisd'or zu gewinnen, den der Ritter gegen sechs Kreuzer setzte. Hierzu kam noch, dass Sir George Bell die Königin vorgab. Dessen ungeachtet wichen die Louisd'ore nicht von ihrem Herrn, wohl aber die Kreuzer von dem Schneider. Als aber der Ritter nach und nach an die 100 Stück lachend in die Tasche gesteckt hatte, fühlte er ein menschliches Rühren, indem er bedachte, wie er den Handwerksmann ums Geld und um die Zeit brächte und ließ mit allem Fleiße ihn eine Partie gewinnen, später eine zweite und dritte. Das war nobel! Nobel aber war auch der Schneider, welcher gestand, dass er nun hinter die Schliche gekommen sei und schwerlich mehr eine Partie verlieren werde, wobei er sich ausbat, von nun an Louisd'or gegen Louisd'or setzen zu dürfen. Lächelnd blickte der Ritter auf den Schneider und um zu sehen, wie weit sein Mut gehe, bat er ihm gleich eine Partie zu drei Louisd'or an. Und wer sogleich drei Louisd'or setzte, das war der Schneider und wer die Partie gewann, das war er. Der Überwundene, der seine Niederlage für plumpen Zufall hielt, rief: "Sechs Louisd'or!" "Wie ihre Gnaden wünschen" war die Antwort des Siegers, der auch in dieser Partie der Sieger blieb. Der im Westminsterschachclub zu London gebildete Held wusste nicht, wie das zugehe. Anstatt aber darüber nachzudenken, rief er immer wärmer: "Zwölf Louisd'or!" und als auch diese verloren waren, "Vierundzwanzig Louisd'or!" "Morgen!" antwortete der Schneider, denn unmöglich konnte er heute weiterspielen. So sehr hatte er sich angestrengt. Davon zeugte auch sein verstörtes Antlitz und die Schweißtropfen auf seiner Stirn. Nicht aber der angewandte Scharfsinn, nein, nur das genaue Zählen von eins bis acht war es, was den Schneider so sehr erschöpft und ihm zu den Goldstücken verholfen hatte. Dieses Rätsel löst ein Blick auf unsere Illustration. A ist Sir George Bell; B der Schneider, C eine aus dem benachbarten Städtchen zum Louisd'orfang requirierte Hilfsmacht, Freund und Gevatter vom Schneider, Mechanikus und geübter Schachspieler, der hinter der Wand in dem anstoßenden Zimmer die Schlacht leitete. Stein und Bein hatte derselbe geschworen: nun und nimmermehr werde er eine Partie verlieren gegen Einen, der ihm die Königin vorgäbe. Solches hatte der Schneider mit Wohlgefallen angehört und alles Übrige dem Mechanikus überlassen. Dieser hatte nun, während Sir George Bell im Bade saß, die Diele aufgebrochen und unter derselben einen Hebel D und E angelegt. Wurde auf den Hebelarm D getreten, so hob der Arm E einen in der Diele befindlichen Nagel hervor. Durch diesen Nagel, der ebenso fest, wie die anderen Nägel des Fußbodens zu stecken schien, empfing der Fuß des Schneiders einen Druck, indes der Mechanikus durch ein trichterförmiges, in eine kleine Öffnung auslaufendes Loch in der Wand F das Schachbrett überblickte.
Die Züge wurden durch Tritte angegeben. Die Buchstaben A bis H wurden, ebenso wie die Ziffern 1 bis 8 durch 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8 Tritte bezeichnet. Eine Pause verhütete die Verwechslung. Sollte ein Bauer einen Schritt vorwärts gehen, so wurde dies, wenn der Stand des Bauern bezeichnet worden war, durch einen einzigen Tritt angedeutet. Ein Tritt, dem schnell ein zweiter folgte, bedeutete: Schach, und folgte noch ein dritter: Schachmatt. Vortrefflich hatte der Schneider nachgezählt und ebenso richtig gesetzt. Am späten Abende hatten die Freunde eine Konferenz. "Noch einmal pass auf," rief der Mechanikus; "bedenke, es stehen 48 Louisd'or!" "An mir," entgegnete der Schneider, "soll's nicht fehlen. Übrigens wisse, guter Gevatter, ich bekleide dich vom Kopfe bis zum Fuße und bedecke dich mit einem kostbaren Mantel!" "Ach, was Kleider, was Mantel!" sagte der Mechanikus, "jetzt mitten im Sommer wird es Einem ohnedies zu warm; kurz und gut, Gevatter, wir teilen die 48 Louisd'or." Auch das war der Schneider zufrieden, der nur noch die Sorge hatte, die nämlich: der Engländer werde die Partie ungespielt lassen, weil der morgige Tag auch der seiner Abreise sein sollte. Eher aber, als der Ritter an die Abreise dachte, dachte er an die Partie. Der Kampf begann. Sir George Bell bot seinen ganzen Scharfsinn auf und es gelang ihm, dem Feinde die Königin abzunehmen. Der Schneider geriet darüber in die tiefste Betrübnis. Das hätte er nicht nötig gehabt, denn der Ritter erkaufte diesen Gewinn mit zu großen Opfern, und nach dem 30. Zuge stand die Partie so:
Hier tat der Mechanikus sechs - und nach einer Pause sieben Tritte (F7). Diesen folgte noch ein Tritt. Dessen freute sich der Schneider, denn nun bekam er doch eine Königin wieder. Er fasste den Stein und zog ihn in die Dame. In diesem Augenblicke gab der Mechanikus das Zeichen des Schachs. Was soll das heißen? dachte der Schneider, es ist ja nicht Schach. Das kann nur heißen, du sollst dir eine Königin ausbitten. Er tat es; er empfing sie, worauf, wie ein Donnerschlag aus heiterem Himmel, das schreckliche Wort Schachmatt ihm entgegentönte. Regungslos stierte der Erschreckte aufs Schachbrett, indes der Brite ruhig die Goldstücke einstrich und in den Kasten warf. Sprachlos verfügte sich der Schneider zum Mechanikus. Das Konferenzzimmer war die Küche. Hier trafen sich zwei zornentbrannte Menschen, die einander die bittersten Vorwürfe machten. Schneider: Gib mir, falscher Freund, wenigstens die drei Louisd'or wieder, um welche du mich gebracht hast. Mechanikus: Dummer Mensch, du hast dich selbst darum gebracht und mich um 24 Louisd'or. Jetzt bezahle mir aber wenigsten meine Mühe und Arbeit. Schneider: Du hast mir das Logis ruiniert - was verdienst du anders, als Prügel? - Das war dem Mechanikus zu arg, darum fasste er den Schneider beim Kragen, und dieser ihn. Die Gevattern umklammerten sich und rangen.
Es schütterten die Wände; die Fenster klirrten und herabstürzende Töpfe riefen die Hausfrau herbei. Ihr folgten die Gesellen und der Lehrbursch, letzterem der neugierige Engländer. Beim Anblick desselben ließ der Mechanikus den Schneider los und rief: "Ihre Gnaden sollen alles wissen: Sie haben Schach gespielt mit dem größten Stümper in der Welt. Nicht er, sondern ich habe die Ehre gehabt, Euer Gnaden zu überwinden. Und jetzt sagen Sie selbst, hätten Euer Gnaden nicht auch die letzte Partie verloren, wenn er anstatt der Königin einen Springer genommen hätte?" Laut schrie der Mechanikus, lauter aber als er die Meisterin: "Ach meine Töpfe!" Der Ritter besänftigte sie durch drei Louisd'or, die er ihr in die Hand drückte. Darauf besah er sich, nicht ohne Bewunderung, die Vorrichtungen des Mechanikus in beiden Zimmern, bat denselben um eine flüchtige Zeichnung und beschenkte dafür den Künstler ebenfalls mit drei Louisd'or. Traurig schweigend sah der Schneider zu; schweigend half er, als der Ritter in den Reisewagen stieg, und warf noch einen wehmütigen Blick auf den Mann, dessen Goldstücke er gesehen. Sir George Bell, von diesem Blicke gerührt, zog sogleich seine Börse, zählte und zählte, nahm ein Papier und packte und überreichte ein feines Röllchen dem glücklichen Schneider. Dieser eilte damit sogleich auf sein Kämmerlein, um hier, bei verschlossenen Türen, seinen Reichtum zu zählen. Und siehe, es fanden sich in dem Röllchen die sämtlichen Kreuzer, welche er an den Ritter verloren, 96 an der Zahl.
Die Illustrirte Zeitung Nr. 265 vom 29. Juli 1848, vermeldet auf Seite 80:
Warnung
Auf der Leipziger Messe und, wie verlautet, auch auf anderen Messen, hat sich, nicht in Schachklubs, wohl aber an Orten, wo weniger geübte Schachspieler sich zu treffen pflegen, ein Fremder eingefunden, der, nachdem er eine Zeit lang dem Spiele zugesehen, durch Gebärden und Worte sein Befremden über die schlechten Züge, welche man hier tut, an den Tag gelegt hat. Wenn man, mehr oder weniger ärgerlich, ihn gefragt, wie man nach seiner Meinung hätte ziehen sollen, hat sich herausgestellt, dass er gewaltig sich versehen. Dessen ungeachtet hat er behauptet, dass er, wenn er nur das Schachbrett ordentlich vor Augen habe, seinen Mann stelle. Darauf hat man mit ihm gespielt, sich nur mehr überzeugt, dass er ein Stümper sei, ihn jämmerlich geschlagen und weidlich ausgelacht. Das hat ihn nicht gerührt; vornehm lächelnd hat er erklärt, er habe nicht aufgepasst, und versichert, er spiele mit jedem um jeden Preis. Da hat man denn den Beutel gezogen und an verschiedenen Orten um verschiedene Summen mit ihm gespielt und – alle Partien an ihn verloren, ohne zu wissen, wie das zugegangen, denn auch in diesen Partien hat er mitunter sehr verkehrte und lächerliche Züge getan und den Gegner in der Meinung gelassen, der Stärkere zu sein. Ein Fabrikant, der auf diese Weise drei Louisd'or – teure Überbleibsel aus besseren Zeiten – verloren, hat einem geübten Schachspieler, Herrn N. N., sein Herzeleid geklagt in der Hoffnung, durch denselben, dem Fremden die Beute wieder zu entreißen. Herr N. N., ausgerüstet mit einem Goldstück aus der Fabrik, geht darauf ein, sucht den Fremden auf, findet und fordert ihn. "Sehr schön!" sagt Letzterer, "unglücklicherweise aber habe ich jetzt einen notwendigen Gang zu gehen, " und weg ist er; Herr N. N. ihm nach, um auf der Gasse von ihm zu erfahren, wann und wo man sich treffen wolle. Nach einigen Ausflüchten erklärt der Fremde: "Ich spiele nicht mit Ihnen um Geld, denn erstlich kenne ich Ihr Spiel nicht, zweitens sehen Sie mir zu gescheit aus, und ich spiele nur mit Dummen."
Möchte keiner unsrer lieben Schachfreunde zu denen gehören, die in die Falle
des schlauen Schachspielers gehen.
Signalement
Der Fremde, ein Mann von 40-45 Jahren, mittlerer Statur, mehr einfach, als
elegant gekleidet, hat ein wohlgebildetes, kluges Antlitz, das er aber, indem er
dasselbe verlängert, dermaßen zu verunstalten weiß, dass man darauf schwören
möchte, er habe das Pulver nicht erfunden.
Die Anzeige dieses Vorfalls hat uns mit den verschiedenartigsten Empfindungen
erfüllt, mit Freude, dass man die Sache vor unser Forum gebracht, welches uns
ebenso schmeichelt, als es Herrn N. N. geschmeichelt haben muss, dass er
gescheit aussehen soll; mit Betrübnis, dass ein Schachspieler, der doch bei
seinem Werden geschworen, dass die Ehre ihm über alles gehe, es nicht unter
seiner Würde gefunden, von Eigennutz verleitet, die Rolle eines eingebildeten
Stümpers zu spielen. Wenn hierin etwas Unnatürliches und Gemeines liegt, so
leugnen wir nicht, dass die Erklärung, welche er auf der Gasse gegeben und
wodurch er Herrn N. N. vollkommen versöhnt, leider aber den Fabrikanten desto
mehr erzürnt, uns, insofern sie eine offenherzige ist, gefallen hat. Vergleichen
wir aber diese Offenherzigkeit, die so schnell hervortritt, mit jener
Verstellung, die so beharrlich war, so zweifeln wir, ob wir durchaus recht
berichtet worden sind. Wenn wir auf den Klang seines Geständnisses hören, so
will es uns scheinen, als habe den Fremden mehr Humor, als gemeine Gewinnsucht
geleitet, und nur dem Fabrikanten ist die Sache außer Spaße gewesen. Vielleicht
gibt uns ein Unparteiischer, vielleicht der Fremde selbst, ein Licht.
Die ersten Schachstudien gehen auf das 9. Jahrhundert zurück. Um 842 hatte
der Araber Al-Adli bereits einige hunderte Schachstudien veröffentlicht. Erste
Schachkompositionen in Europa finden sich im Schachlehrbuch des spanischen
Schachspielers Lucena (Repetición de amores e arte de axedrez) und um 1500
schließt das in lateinischer Sprache verfasste Traktat in der Göttinger
Handschrift hieran an. Im 18. Jahrhundert veröffentlichte François-André Danican
Philidor 1749 seine endspieltheoretischen Untersuchungen (Analyse des
Schachspiels). 1750 und 1763 folgten die Bücher der Italiener Domenico Ercole
del Rio und Giambattista Lolli und die des syrischen Schachmeisters Philipp
Stamma. 1817 ist das in London bei J. M. Richardson erschienene zweibändige Werk
Oriental Chess von William Lewis von Bedeutung und 1851 entwickelten sich die
Schachstudien unter Josef Kling und Bernhard Horwitz zu einem Höhepunkt dieser
Kunst.
Als nach 1840 mit der Gründung der illustrierten Zeitungen in England,
Frankreich und Deutschland und den danach gegründeten Schachzeitungen die
stärkere Verbreitung von Schachaufgaben ihren Anfang nahm, kam es vereinzelt
auch zu Übermittlungs-, Schreib-, Lese- und Druckfehlern in der Darstellung von
Schachproblemen. Eine Vielzahl wenig bekannter Schachspieler lieferte sogenannte
eigene Schachkompositionen an Zeitungsredaktionen, die sich später als Plagiate
herausstellten. Oftmals wurde auch der Kern einer bereits bekannten
Schachkomposition kopiert und mit neu modifizierter Figurenstaffage als neue
Komposition veröffentlicht. Es gab Spiegelungen, Drehungen und andere
Veränderungen von Kompositionen bereits früherer Urheber, die dann als eigene
neue Leistung propagiert wurde. Man kann solche Modifikationen nicht als eigene
Werke bezeichnen, waren es Fälschungen? Nein, das kann man nicht sagen. Es
waren Veränderungen bestehender Kompositionen durch Personen,
die zu innovativen Ideen nicht fähig waren. Diese Leute schmückten sich gern mit fremden Federn
und auch dies ist eine Form von Hochstapelei.
Es gab immer Zeitungsredaktionen, die entweder aus Mangel an neuen Schachaufgaben
oder aufgrund fehlender fachlicher Kompetenz alles unbesehen veröffentlichten,
was ihnen geliefert wurde. War die Schachaufgabe erst einmal gedruckt und
verteilt, so wurde diese wiederum von anderen Zeitungen aufgegriffen und neu
herausgegeben, teilweise dann auch noch um zusätzliche Fehler vermehrt.
Selbst Aaron Alexandres überaus große Sammlung von Schachproblemen, welche 1846 mit großem Trara in Leipzig bei Brockhaus als Buch
herausgegeben wurde, musste später von Oskar Korschelt (1853 -
1940) "gereinigt" werden. Korschelt hatte selber eine sehr große Problemsammlung
(ca.75.000 - 85.000 Probleme) und war dadurch in der Lage, aus Alexandres
künstlich aufgeblasener Zusammenstellung alle Doubletten und verwandten Probleme herauszufinden.
Hier geht es zur Fortsetzung unter dem Titel: Die
große Illusion – Der Schachtürke