Schachautomat - Der Schachtürke von Wolfgang von Kempelen |
Wer sich in der Kulturgeschichte des Schachspiels nicht auskennt,
wird mit dieser Überschrift erst einmal wenig anfangen können. Tatsächlich saß
ab dem Jahre 1769 ein Türke an einem Schachbrett; nur der Türke war nicht echt.
Wolfgang von Kempelen hatte "einen Türken gebaut" und wenn wir heute manchmal das Wort "getürkt"
verwenden, ein Synonym für "getäuscht", so rührt es mit großer Wahrscheinlichkeit
aus dem Vorfall, den ich Ihnen hier jetzt kurz schildern möchte:
Wolfgang von Kempelen wurde 1734 in Pressburg geboren. Pressburg, das heutige
Bratislava ist die Hauptstadt der Slowakei. Unter der Regentschaft von Kaiserin
Maria Theresia wurde Pressburg damals die bedeutendste Stadt im Königreich Ungarn.
Kempelen ist 1804 in Wien gestorben. Er war ein Erfinder, Architekt und
Staatsbeamter im Königreich Ungarn. Die Kaiserin Maria Theresia beförderte ihn
zum Hofkammerrat und er war unter anderem zuständig für die Sicherheit der
Salzgewinnung in Ungarn und die Besiedelung des Banats. Das Banat ist eine
historische Region, die heute in den Staaten Rumänien, Serbien und Ungarn liegt.
Europaweit bekannt wurde von Kempelen durch den Bau eines Schachautomaten,
der von einer türkisch gekleideten Figur gesteuert wurde und ausschließlich zu
Unterhaltungszwecken diente. Weniger bekannt ist, dass von Kempelen auch eine
Sprechmaschine konstruiert hat, die menschliche Sprachlaute erzeugen konnte. Es
war die erste funktionierende Konstruktion zur Sprachsynthese. Die Erzeugung
einer menschlichen Sprechstimme und die akustische Sprachausgabe war eine
bedeutende wissenschaftliche Leistung. Von Kempelen war ein Allround-Genie: er
erfand Hilfsmittel für den Blindenunterricht, baute Wasserpumpen, Dampfmaschinen
und Turbinen, eine Brücke über die Donau, schrieb Gedichte, Dramen und
Singspiele und war ein begabter Zeichner und Radierer.
Nachdem von Kempelen seinen "Schachtürken" zur Belustigung am Hofe von Maria
Theresia vorgestellt hatte, staunte fast ganz Europa. Wegen des großen
Interesses, ging er einige Jahre später mit seinem Schachautomaten auf eine
Europatournee und war z. B. 1783 in Paris und 1784 in London.
Hier folgt eine Auswahl der ersten Beschreibungen des Schachautomaten, die kurz
nach 1769 veröffentlicht wurden:
Karl Gottlieb von Windisch (1725 in Pressburg – 1793 ebenda) war
Kaufmann, Privatgelehrter und ab 1789 Bürgermeister von Pressburg. Er war
Publizist und ein Freund von Wolfgang von Kempelen. Windisch veröffentlichte
1783 "Briefe über den Schachspieler des Hrn. von Kempelen nebst drey
Kupferstichen die diese berühmte Maschine vorstellen" im Verlag von Chr. von
Mechel in Pressburg.
Louis Dutens (1730 in Tours – 1812 London) war ein französischen
Schriftsteller und Diplomat der auch die erste ziemlich vollständige Ausgabe von
Leibniz' Werken in 6 Bänden 1769 in Genf herausgab. Dutens schrieb drei Briefe
an die Pariser Zeitschrift Mercure de France mit Beschreibungen der
Präsentation des Schachautomaten in Wien und Pressburg. Die Briefe sind vom 24.
Juli 1770 und vom 18. und 21. Januar 1771. Die Briefe wurden 1784 auch in seinen
Oeuvres mélées im Verlag von Bonnant in Genf publiziert. Detailliert
beschreibt Dutens seine genaue Untersuchung des Schachautomaten.
Carl Friedrich Hindenburg (1741 in Dresden 1808 – in Leipzig) war ein
deutscher Mathematiker, Professor der Philosophie und Physik und befreundet mit
dem schweizer Mathematiker und Physiker Daniel Bernoulli. Hindenburg beschreibt
1784 den Schachautomaten in seinem Buch über den Schachspieler des Herrn von
Kempelen nebst einer Abbildung und Beschreibung seiner Sprachmaschine im Verlag
von Johann Gottfried Müller in Leipzig. Der Mathematiker zeigt in seinem Buch
auch Rösselsprung Diagramme nach Euler, Moivre, Mairan, Montmort u. a.
Joseph Friedrich Freiherr von Racknitz (1744 in Dresden – 1818 ebenda)
war Hofmarschall in Dresden. Ausführlich beschreibt Racknitz 1789 in seinem Buch
"Über den Schachspieler des Herrn von Kempelen und dessen Nachbildung" alle
Funktionen. In seiner Vorrede bemerkt er, dass der Schachautomat jedoch zuweilen
Missbehagen und Geringschätzung erweckte. Die Geringschätzung gründete darauf,
dass die Maschine keinen unmittelbaren Nutzen brachte und dass die Funktionen
nicht nur durch die ausgeklügelte Mechanik, sondern hauptsächlich durch die
Einwirkung eines in der Maschine versteckten Menschen ausgeführt wurden.
Racknitz zollt dem Schachautomaten einen großen Respekt. Der Automat war ein
Meisterwerk der Unterhaltung, ein Kunstwerk und kein billiger Trick.
Joseph Friedrich Freiherr von Racknitz: "Über den Schachspieler des Herrn von
Kempelen ..." Titelblatt mit einem Kupferstich (Rösselsprung nach Euler)
Die präzise Mechanik war so genau abgestimmt, dass die Bewegungen des
Schachtürken nicht unmenschlich wirkten. Auch der Kopf war beweglich. Die
Fingergelenke der linken Hand konnten die Schachfiguren fest greifen und auf dem
Brett bewegen. Geschlagene Figuren konnte die Hand vom Brett nehmen. In den
Pausen ruhte der Arm auf einem Kissen.
Berliner Schachzeitung 1850
Lebensgeschichte eines Türken
von Otto von Oppen
Herr von Kempelen, der Erfinder der Schachmaschine, sagte zu einem neugierigen
Prinzen, der ihn um Entdeckung des Geheimnisses bat: "Si Vous le saurez, ce ne
sera plus rien." – "Wir kennen's auch," rufen die Leser, "also ist's Nichts!" –
Nun, ich will mit dem Geheimnisse mich nicht weiter befassen, ich bin nur
Biograph eines Mannes, der zu seiner Zeit viel Aufsehen gemacht hat, der näheren
Bekanntschaft hoher und allerhöchster Personen gewürdigt wurde, an Höfen, seiner
hölzernen Persönlichkeit ungeachtet, stets die beste Aufnahme fand, und einen
stärkeren Einfluss auf sein Jahrhundert, sowie auf das unsrige, ausgeübt hat,
als er selbst weiß.
Erwägen wir, dass von Kempelen auch eine Sprachmaschine erfunden hatte, über den
Mechanismus der menschlichen Sprache sogar ein ganzes Buch schrieb *, und wie
leicht es von nun an Automaten gemacht ward, sich in die gute, oder auch in die
beste Gesellschaft einzuschwärzen, wie unbehaglich bei plötzlichem Knarr- und
Räderwerk der Unterhaltung das Gefühl der Leute werden musste, die sich des
Verdachts nicht erwehrten, ob und wie etwa eine unsichtbare leitende Kraft auf
den Nachbar eingewirkt habe? Ob dieser nicht vielleicht aufgezogen werde? etc.;
wie sehr unter solchen Umständen das gegenseitige Misstrauen, welches
bekanntlich die Wurzel alles Unglücks der neuesten Zeit ist, gesteigert werden
musste, so drängt sich uns unwillkürlich der Gedanke eines inneren
Zusammenhanges auf; nicht zu gedenken, dass unser Türke gerade in Ungarn ein
berühmter Schachspieler ward, wie jetzt berühmte Schachspieler Türken, und dass
er mit dem großen Napoleon nicht nur das Geburtsjahr gemein hat, sondern auch
die Ungewissheit des Geburtstages.
Unser Held erblickte das Licht der Welt im Jahre 1769 zu Pressburg. Er sprang,
wie einst Minerva, völlig gerüstet aus dem Haupt des Erzeugers ins Leben, und
ist schon in demselben Jahre der Kaiserin Maria Theresia vorgestellt worden,
scheinbar so alt, als hätte er mitgerufen: "Moriamur pro rege nostro Maria
Theresia!"
Er war ein schöner Mann von mittlerer Größe, der sich in seiner türkischen
Tracht sehr gut ausnahm. Türken werden überhaupt selbst von den tugendhaftesten
Frauen mit einem gewissen Wohlgefallen betrachtet: und manche Duchesse, die
sich, der Etikette gemäß, mit dem Tabouret begnügen musste, ist gewiss auf den
Stuhl neidisch gewesen, der in Gegenwart der Kaiserin unserem Türken sogleich
eingeräumt wurde. Maria Theresia bewunderte ihn, und niemals seit
Menschengedenken hatte irgend jemand solche Triumphe gefeiert wie er. Was
Wunder, wenn sich sein Ruhm über ganz Europa verbreitete und mit auf seinen
Vater zurückstrahlte, obgleich dieser eine gewisse Geringschätzung des Sohnes
affektierte, und vertrauten Freunden gestand, derselbe sei zwar das jüngste Kind
seiner Laune, aber doch nur ein Blender. Ja, von Kempelen ging in seinem
ungerechten Vorurteile noch weiter, das eigene Kind wurde vor Fremden, die sich
zu ihm hingezogen fühlten, verleugnet, für krank ausgegeben, der Eintritt in die
Gesellschaft wurde vom Vater verhindert.
Jahre vergingen, unter Schloss und Riegel hatte der automatische Schachmeister
in einsamer Kammer gesessen, auch Herr von Kempelen wurde nicht mehr für einen
Zauberer gehalten, denn er hatte sein Vermögen in nutzlosen Experimenten
verschwendet, das galt als Gegenbeweis. Da erschienen in Wien für Vater und Sohn
zwei rettende, vom fernen Osten herbeifliegende Engel, der Großfürst Paul von
Russland mit seiner Gemahlin, die den Kaiser Joseph besuchten. Der künftige
Beherrscher Russlands wünschte auch diesen Türken, wenn nicht die ganze Türkei,
näher zu sehen, sein Wunsch war Befehl. Prächtiger gekleidet als je erschien der
automatische Meister bei Hofe, siegte wie immer, und wurde, während auf andere
Automaten kaum ein gnädiger Blick fiel, mit wohlklingenden Beweisen der
allerhöchsten Huld überschüttet. Jetzt erkannte auch Herr von Kempelen sein
früheres Unrecht und ging mit seinem Sprössling auf Reisen, zuerst nach Paris.
Dort wurde Ersterer, obgleich er viel besser spielte als von Kempelen, von den
Meistern des Schachbretts im Café de la Régence, zwar geschlagen, aber dies
konnte ihn so wenig befremden als uns, wenn wir einmal dasselbe Schicksal haben
sollten, ja es griff ihn noch weniger an, weil er ein Herz von Eichenholz hatte,
überdies bestand ja sein Ruhm darin, dass er spielte, nicht darin, dass er immer
gewann, und er gewann ja auch immer etwas, nämlich französisches Geld. Noch
reichlicher floss ihm das englische zu, von dem Augenblicke, wo er in Dover an's
Land stieg.
Ob Philidor, der sich meistens in London aufhielt, mit ihm spielte, haben wir
nicht in Erfahrung gebracht, wohl aber, dass Mr. Philipp Thiknesse ein Pamphlet
gegen ihn schrieb, worin er ihn des Betrugs beim Spiele beschuldigt. Der Türke
hat es keiner Antwort gewürdigt, und wie wär' auch beim Schach ein Betrug
möglich? – Die beste Antwort war eine Einladung Friedrichs des Großen an den Hof
zu Berlin. Hier nahm der Ungar für Schlesien Rache; freilich, der siegreiche
Held war ein Greis und zahlte bald nachher die Schuld der Natur, aber auch der
ganze Hof versuchte umsonst gegen den Türken sein Glück. – Und nun ereignete
sich etwas ganz Unerhörtes! – In dem philosophischen Jahrhundert, in dem
freisinnigen Preußen, von dem größten Manne seiner Zeit – "tantaene animis
coelestibus irae!" – wurde der Türke zum Sklaven gemacht. Für schnödes Gold,
dessen er ja ohnehin genug hatte, verkaufte ihn der eigene Vater, und mit der
ganzen Person fiel auch jedes Geheimnis seiner automatischen Hoheit in die Hände
des Käufers.
Friedrich der Große starb, der Sklave war vergessen. Wieder dreißig Jahre lang
schmachtete er im einsamen Kerker, durch Napoleon ward er befreit.
Wie rasch läuft die Zeit! Während der dreißig Jahre war auch schon das Geheimnis
vergessen, der Türke war wieder eine ganz neue interessante Erscheinung
geworden, man erinnerte sich nur, dass er einst Schach gespielt habe, und
schwerlich möchte die Gegenwart über eine solche Tradition hinausgelangt sein,
wäre nicht zum großen Glück noch ein Meister aus von Kempelens Schule am Leben
gewesen.
Durch diesen glücklichen Arzt wurde der Kranke völlig geheilt und verjüngt, so
dass er in Kurzem dem Kaiser selbst vorgestellt werden konnte; ja Letzterer
spielte mit ihm. Wenn vor Zeiten Paolo Boi, der Syrakusaner, nur kniend mit Don
Sebastian, König von Portugal, spielen durfte **), so verlangte jetzt der große
Fürst nichts von der Art, wenigstens finden wir nichts angedeutet, wohl aber hat
die Geschichte einen anderen Zug aufbewahrt, der den Mut des Türken in das
hellste Licht stellt.
Ein Dutzend Züge waren getan, da zog der Kaiser absichtlich falsch; sein Gegner
ergriff den falsch gezogenen Stein und setzte ihn ernsthaft wieder auf das
vorige Feld, dem Kaiser durch Winke bedeutend, er möge richtiger ziehen. Wieder,
nach einiger Zeit zog Napoleon falsch; diesmal nahm ohne Bedenken der Türke den
gezogenen Stein, konfiszierte denselben und machte sofort seinen eigenen Zug.
Napoleon lachte und, um die Geduld des Gegners ganz zu erproben, zog er bald
nachher zum dritten Mal falsch. Da erhob sein automatischer Gegner zornig den
Arm, warf alle Steine durcheinander und weigerte sich, mit dem Kaiser weiter zu
spielen! – Welcher andere Mann rühmt sich wohl einer kühneren Tat? – Der Kaiser
trug sie nicht nach, der Türke lebte länger als er. Wir finden denselben später
in naher Berührung mit Eugen Beauharnais, Napoleon's Stiefsohn: ehe er aber zu
ihm gelangte, musste er noch manches andere Schicksal erleben.
Nach der Erzählung des so mutvollen Benehmens gegen den Kaiser der Franzosen,
dürfen wir wohl auch eine Schwachheit verraten, welche nur Folge der
automatischen Persönlichkeit ist, unser Türke konnte nämlich nicht wohl fremder
Hilfe entbehren. In der Zeit seiner Jugend war ihm diese durch von Kempelen und
dessen Kammerdiener geleistet, später aber musste er sich Fremden vertrauen, und
so war er denn unter Anderen von einem gewissen Herrn Maelzl abhängig geworden,
dem berühmten Schöpfer des Metronoms ***) und anderer Kunstwerke der Art, den
er, oder der ihn mit sich nach Bayern nahm. Eugen Beauharnais, ein warmer Freund
der edlen Schachkunst, und gewiss nicht geizig, fand an dem berühmten und
geheimnisvollen Fremden so viel Geschmack, dass er täglich mit ihm spielen
wollte, und, wenn er in den Mitteln zur Befriedigung dieses Verlangens diesmal
fehlgriff, so lässt sich freilich nur zu seiner Entschuldigung sagen, dass er
schon das Beispiel eines großen Mannes für sich anführen konnte. Kurz, 30,000
Frs. wurden von Maelzl gefordert, sie wurden bewilligt, bezahlt, und unser Türke
war wieder ein Sklave.
Die böse Welt erzählt: Eugen, der auch sonst noch zuweilen türkische Gelüste
gehabt haben soll, habe nach entdecktem Geheimnis lachend eine Prise genommen,
und sich einer Dame erinnert, die bei einer ganz anderen Veranlassung zu ihm
gesagt hatte: "Allez mon ami, Vous ètes un mauvais Turc!" – Indessen wusste sich
der leichtblütige Franzose doch schneller als der Große Friedrich aus dem Handel
zu ziehen. Er bat einige Mal Gäste auf seinen Sklaven, dieser spielte mit immer
gleichem Erfolg, er hatte sogar einen Anfang in Sprachen gemacht und bot jetzt
Schach mit vernehmlicher Stimme, während er sonst statt dessen dreimal mit dem
Kopfe genickt hatte, was viel umständlicher war. Nach befriedigter Neugier
behielt der Türke seine Anstellung als Hofautomat. Als indessen Eugen nach dem
Sturze des Hauses diese Stelle von seinem Etat strich, machte er mit Maelzl ein
verhältnismäßig gutes Geschäft (Maelzl freilich ein besseres) indem er Letzterem
für die Interessen des Kapitals den Hofautomaten wieder zedierte.
Dieses Ereignis brachte unsern Türken in Paris mit Herrn Boncourt, in London im
Jahre 1819 mit dem berühmten Herrn Lewis in nahe Berührung. Letzterer hatte ihm
einen Conseiller intime und wirklich geheimen Rat in der Person des Herrn Mouret
empfohlen, einen Schüler von Deschapelles und Lehrer von Louis Philippe.
Natürlich durfte der es nicht wagen, dem Letzteren eine abschlägige Antwort zu
geben, und so wurde denn Louis Philippe der vierte Fürst, der das Geheimnis des
Türken erforschte.
Wie wunderlich spielt mit den Menschen das Schicksal! Mouret ergab sich dem
Trunk, er starb zu Paris verachtet, im äußersten Elend, Louis Philippe wurde
entthront und der Türke wanderte nach Amerika aus. Er hatte nämlich Schulden
gemacht, und sogar einmal vor dem Könige von Holland nicht eher spielen können,
als bis er mit 1500 Frs. ausgelöst wurde, die Maelzl ihm vorschoss, schlug sich
daher zu den Demokraten und Europamüden.
Die Bürger der neuen Welt standen den Bürgern der alten Welt an Wissbegier und
Klugheit nicht nach, mithin kann auch dort der automatische Türke von seinem
Einkommen recht anständig leben. Dem Vernehmen nach wird er einen Match mit
Herrn Löwenthal spielen. Er glaubt jetzt an sich, und ist, seitdem er Amerika
entdeckt hat, fest überzeugt, dass Amerika ihn nicht entdecken wird.
Wer aber lüftet den Schleier der künftigen Zeit! Ein Moment, "et mox fit Irus
subito, qui modo Croesus fuit", wenn ihm nicht gar ein Lynchgericht das Garaus
macht. In Deutschland war er schon früher einmal in der allergrößten Gefahr. In
einer kleinen Stadt fiel es einem neidischen Gaukler ein, plötzlich Feuer zu
schreien, der Türke erschrak und hatte dazu, seines leicht feuerfangenden
Körpers wegen, gewiss einen sehr triftigen Grund, er stieß seinen Schachtisch
um, und hätte, ohne Maelzl's schnelle Hilfe leicht aus der Haut fahren können,
in welcher er jedoch im gegenwärtigen Augenblicke noch steckt. ****)
Höchst merkwürdig bleibt es immer, dass so viele und zum Teil so berühmte
Fürsten, Maria Theresia, Joseph II., Friedrich der Große, Paul I., Napoleon,
Eugen Beauharnais und zuletzt noch Louis Philipp an die Möglichkeit glaubten,
Gedanken mechanisch zu machen; und doch hat es auch wieder seinen natürlichen
Grund: denn kann der Mann so oft zur Maschine gemacht werden, warum nicht auch
einmal die Maschine zum Mann?
*) Wien 1791, mit Kupfern
**) Schachzeitung Jahrgang 1848, Seite 436
***) Leonhard Maelzl, Mechanikus in Wien, geb. zu Regensburg 1776; er bediente
sich als Metronom, oder Taktmesser, des einfachen Pendels.
****) vergleiche die Todesanzeige Seite 272 oben in diesem Heft
Illustrirte Zeitung Nr. 189 vom 13. Februar 1847, Seite 112
Die Kempelen'sche Schachmaschine
"Alle unsre Leser haben von der Schachmaschine schon gehört oder wenigstens von
derselben gelesen, gesehen aber haben sie gewiss nur Wenige; deshalb denken wir,
etwas dem Wunsche unsrer Schachspieler entsprechendes zu tun, wenn wir ihnen
eine Zeichnung derselben vorführen und ein paar Worte zur Erläuterung
hinzufügen.
Wir meinen die Kempelen'sche Schachmaschine, die ein Halbjahrhundert hindurch,
1770 - 1819, ein Gegenstand der Bewunderung blieb, in Pressburg, wo sie
entstand, wie in Wien, in Berlin, wie in Amsterdam, in Paris, wie in London und
New York das größte Staunen erregte, und von Fürsten – wir nennen nur Friedrich
den Großen und Napoleon – belohnt ward. Das Werk lobte seinen Meister, Wolfgang
von Kempelen, einen denkenden und erfinderischen Kopf, ein Genie, wie die
Mechanik nur selten aufzuweisen hat, der als k. k. wirklicher Hofrat in Wien
1804 in seinem 71. Jahre das Zeitliche segnete.
Die Schachmaschine bestand in einem Automaten, der, einen Türken in Lebensgröße
darstellend, mit zierlichem Anstande und würdevollem Stolze Haupt, Arm und Hand
bewegte und mit einem Verstande, mit einem Scharfsinne Schach spielte, der
nichts zu wünschen übrig ließ. Zwei Jahre nach dem Tode ihres Erfinders
vollbrachte die Maschine eine Tat, die kein kecker Sterblicher gewagt haben
würde. Napoleon spielte mit der Maschine in Berlin und versuchte, sie zu
wiederholten Malen durch ganz verkehrte Züge ins Irre zu führen. Als keine
Zurechtweisung von Seiten der Maschine half, machte diese dem Spiele dadurch ein
Ende, dass sie vor den Augen des Kaisers die Steine zusammenwarf. Darüber lachte
Napoleon herzlich – konnte er mit einer Maschine zürnen? Vielleicht aber stak
jemand in dem Kasten, der dem Türken als Tisch dient? Öffnen wir die eine oder
die andere Türe, nichts ist zu sehen als Räder und Räder und Federn, Hebel und
Platten. Hat der Verborgene unterdessen auf die andere Seite des Kastens sich
gewendet, oder ist er in den Türken hinaufgekrochen? Alles das würde mit
Unbequemlichkeit verbunden gewesen sein. Übrigens in dem Kasten ist es doch
wahrscheinlich finster, wie soll da einer Schach spielen? Es steckte also – wie
die Welt mit Entzücken erkannte – niemand darin. Wenn dennoch Tomlinson in
seinem Werk Amusements in Chess, London 1845 Mister Mouret einen ausgezeichneten
Schachspieler nennt, der in dem Kasten den Arm des Türken geleitet habe, was
heißt das anders, als den Leuten die Freude verderben?
Holzstich aus der Leipziger Illustirten Zeitung 1850
Die berühmte Schachmaschine war endlich verschollen, als in Deutschland eine zweite, der Kempelen'schen nachgeahmte Schachmaschine sich zeigte. Wir spielten mit derselben und müssen die verständigen Züge rühmen, welche sie tat, vermissten aber in dem Türken die natürlichen und zierlichen Bewegungen, die man jenem nachrühmte. Dafür stellt aber auch der Künstler, der die neue Maschine zeigte, weit billigere Preise, forderte nicht wie Kempelen von dem Zuschauer Taler, sondern begnügte sich mit Groschen. Auch forderte er nicht von dem Neugierigen, der das Innerste der Maschine zu sehen wünschte, wie Kempelen und – nach dessen Tode – Mälzel, ungeheure Summen, sondern hoffte, die Neugierigen zurückzuschrecken, wenn er eine Hand voll Goldstücke begehrte. Diese aber waren in Leipzig den Augenblick zusammengeschossen, und als der Künstler sich weigerte, die Maschine zu öffnen, drohte eine donnernde Stimme, den Kasten mit dem Degen zu durchstechen. Da fing die Maschine an, kläglich zu bitten. Des Künstlers kleine niedliche Frau trat aus dem Kasten und weinte. Die arme Schachspielerin! Wir sahen ihre Tränen und erinnerten uns derselben wehmütig im Leben, so oft wir die wahre Kunst, die nicht täuschen will, eben darum zu Grunde gehen sehen, weil sie, Menschen zu täuschen, für unwürdig hielt ..."
— — —
Soweit der Artikel aus der Leipziger Illustrirten Zeitung von 1847. Wie schon
damals, so finden wir auch heute manchmal Dichtung und Wahrheit vermischt
beieinander. Wie Antonius van der Linde in seinem zweibändigen Werk "Geschichte
und Literatur des Schachspiels" richtig bemerkt, hat Friedrich der Große den
Schachautomaten nicht gekauft, weil er schon 1786 verstorben ist und Napoleon
hat auch nicht in Berlin gegen den Automaten gespielt. Die Aktionen des
Schachautomaten bewiesen damals schon, dass technische Innovationen als
unerklärliche Phänomäne gedeutet wurden und die Phantasie der Massen zu
beflügeln vermochte.
Seit 1804 war Johann Nepomuk Mälzel (1772 - 1838), ein deutscher
Musikinstrumentenbauer, neuer Besitzer des Schachautomaten und reiste damit
gewinnbringend durch Europas Metropolen und Amerika. Mälzel setzte für seine
Zwecke den sehr guten Schachspieler Johann Baptist Allgaier ein. 1839 gab "De
Tournay" im Le Palamède das Geheimnis des Schachautomaten preis. Es hat mich
einige Zeit gekostet, bis ich den vollen Namen des Verfassers endlich ermitteln
konnte; es handelt sich um Mathieu Jean-Baptiste Nioche De Tournay (1770 -
1844), ein Freund des Palamède-Herausgebers Labourdonnais und Autor einiger
Theaterstücke. 1836 schrieb De Tournay im Le Palamède einen Bericht über den
Schachautomaten La vie et les aventures de l'automate joueur d'échecs (Le
Palamède I, 1836, S. 81 - 87). 1839 schrieb er eine Fortsetzung (Le Palamède IV,
1839, S. 54 - 70) mit der Namensnennung der in der Maschine versteckten
Schachdirigenten. Auf der Seite 68 schreibt er den Namen "Weyle". Diese
spärliche Namensnennung weckte erneut meinen Spürsinn und ich machte mich auf
die Suche. Ein gewisser "Weyle" spielte um 1824 gegen Saint-Elme-le-Duc (ein
Pseudonym, das ist Jean Pierre Elme Leduc, 1795 - 1861). 1845 schreibt
Saint-Elme-le-Duc im Le Palamède einen ausführlichen Artikel Souverirs du Café de
la Régence (S. 19 - 35) und blickt dabei ca. 20 Jahre zurück. Viele Namen
tauchen darin auf und auf der Seite 30 auch der Schachspieler "Weyle".
Saint-Elme-le-Duc nennt ihn zunächst bei seinem Spitznamen "le Petit Juif"
(kleine Jude). Meist wurden die regelmäßig im Café de la Régence spielenden
Herren nicht mit ihrem vollen bzw. ihrem richtigen Namen genannt. Der aus dem
Elsass stammende Wilhelm Schlumberger wurde "Mulhouse" nach seinem Geburtsort
genannt. Ich übersetze jetzt einen Absatz von der Seite 30 ins Deutsche:
"Der Name meines ersten Lehrers war glaube ich Velles oder Weill, jedenfalls so
ähnlich wurde sein Name ausgesprochen. Danach waren es die Herren Boncourt,
Mouret, Labourdonnais, Sasias, Robello, Mulhouse, Alexandre (der Verfasser der
Encyclopédie des Echecs), Lavagnino, Desloges, der Kommandeur Du Monchau, der
Oberst Guingret, der Kommandeur Lévêque, Devinck, Rouillart, der Baron de
Binville, der Schauspieler Saint-Eugène, Graf Boissy d'Anglas (der auch gegen
Labourdonnais gespielt hatte), Lécrivain, der Graf de Vallécarville, der General
Graf Duchaffault, Chamouillet, der Kommandeur Hiélard, Margueritte, Barthés de
Marmorières, der Baron Duménil, Duchaussoy, Doktor Laroche, Charron, Latour
d'Auvergne, die Gebrüder Hampton (junge Engländer und ihr Onkel Herr Dizi), der
Chevalier de Barneville (ein freundlicher und guter alter Mann, der schon gegen
Philidor gespielt hatte), der Theater-Schriftsteller Tournay, der Maler Regnault
(der 1783 das Bild l'Education d'Achille für den Louvre in Paris malte) und der
reiche deutsche Graf von Helmstatt ..."
Ich vermute, dass der Name des jüdischen Schachspielers um 1820 vermutlich
richtig "Weill" gelautet hat. Ich habe diese Erinnerung eines Schachspielers hier
wiedergegeben, damit man sehen kann, wer in Paris um 1825 aktiv Schach gespielt
hat. Doch nun zurück zu De Tournay. Die nächsten Namen nach Weyle als
Schachdirigenten lauten Aaron Alexandre, Hyacinthe Henri Boncourt für die
Auftritte in Paris und Peter Unger Williams (1775 - 1837), William Lewis (1787 -
1870) und Jacques François Mouret für die Reisen nach Holland und England.
Auf der Seite 69 nennt De Tournay dann den Namen für die Show in den USA und
Kuba. Es ist der elsässische Schachspieler Wilhelm Schlumberger. In Havanna
starb Schlumberger an Gelbfieber. Mälzel musste die Reise abbrechen. Auf seiner
Rückreise starb Mälzel 1838 an Bord des Schiffes. Der Schachautomat verbrannte
1854 in einem Museum in Philadelphia.
Auf die zahlreichen Nachbauten des Schachautomaten möchte ich nicht eingehen.
Die erste große Illusion – Der Schachtürke war meines Erachtens eine
künstlerische Aktion (Performance) und auch die späteren Auftritte vor dem gut
zahlenden Publikum waren mit Sicherheit eine große Attraktion. Auch die
Fortsetzung durch Mälzel kann ich noch tolerieren, weil noch ein Mindestmaß an
Unterhaltungswert für ein breites Publikum geboten wurde. Wie man sieht, sind
die Grenzen zwischen künstlerischer Aktion und Betrug fließend. In unserer
heutigen Zeit würde man ja auch nicht auf den Gedanken kommen, dass die Show des
Zauberkünstlers David Copperfield ein Betrug sei. Seine Illusionen mit kleinen
und großen Tricks wurden in mehr als 500 Live-Shows in aller Welt gezeigt.
© Elke Rehder
Bitte besuchen Sie auch meine Homepage www.elke-rehder.de