Der Rheinische Schachkongress in Düsseldorf 1862 in alten Zeitungsberichten |
Der Schachkongress in Düsseldorf: L. Paulsen im Blindlingsspiel. Nach einer
Zeichnung von Gustav Süs. 1862
Holzstich aus Illustrirte Zeitung Nr. 1007 v. 18. Oktober 1862 S. 289. Die nachfolgenden Namen konnte ich den abgebildeten Personen zuordnen: Der Oberst Karl August Bernhard Hermann von Hanneken (1810–1886, später kgl. preuß. Generalleutnant lt. Deutsche Biographie) steht links im Publikum und ragt aufgrund seiner Körpergröße hervor). Max Pflaum (* 25.01.1841, † 26.12.1908) , erster Vereinsmeister des 1854 gegründeten Düsseldorfer Schachvereins, war ein Düsseldorfer Buchhändler und verheiratet mit der Tochter von Anton Fahne im Haus Fahnenburg bei Düsseldorf (Erster Spieler am Tisch links sitzend). Links am Tisch sitzend sind weitere Spieler zu sehen, z. B. Johannes Kohtz (legt nachdenklich den Zeigefinger unter seine Nase). Der Schriftsteller, Journalist und Theaterleiter Paul Lindau (* 3. Juni 1839 in Magdeburg; † 31. Januar 1919 in Berlin) sitzt als Beobachter im Vordergrund an der rechten Tischecke und dreht uns halbwegs den Rücken zu. Dr. Max Lange steht rechts vom Tisch und hat das Heft fest in der Hand.
Die Illustrirte Zeitung schreibt hierzu in Nr. 1007 v. 18. Oktober 1862 auf
S. 290: Der Rheinische Schachkongress.
"Unter den großen Erscheinungen unserer Tage stehen das Kongresswesen und der
Assoziationstrieb oben an. Geboren aus dem Grundzuge unserer Zeit nach einigem
Zusammenwirken und begünstigt durch die heutigen Erleichterungen im
Reiseverkehr, im persönlichen Zusammenkommen vieler räumlich getrennten
Vertreter desselben Interesses, dehnen jene mächtigen Faktoren der modernen
Kultur jetzt ihre Herrschaft fast auf alle Gebiete des gesellschaftlichen Lebens
aus. Ihre fruchtbare Rückwirkung auf das Einigungswerk im Großen und Ganzen kann
nicht ausbleiben, und die modernen Assoziationen wie Kongresse haben daher als
einzelne Strahlen, in welchen das allgemeine Bewusstsein der Einigkeit sich
bricht, eine hohe kulturgeschichtliche Bedeutung. In solchem Sinne verdienen
gewiss alle genossenschaftlichen Bildungen der Neuzeit, sie mögen zunächst
irgendwelchem geistigen oder materiellen Zwecke dienen, unsere teilnehmende
Beachtung, umso mehr, wenn sie von dem lebendigen Gefühl der Mitwirkung an dem
großen Zeitinteresse getragen werden.
Gleich den Männern der Wissenschaft und Kunst, gleich Schützen und Turnern, Sängern und Stenographen, sowie vielen anderen Kunstgenossen haben sich nun in ähnlichem Sinne auch die freunde des edlen Schachspieles, dieser sinnreichen Geisteserholung, zu einem Bunde vereinigt, welcher alljährlich größere Zusammenkünfte abhalten wird und bereits in diesem Jahre als Rheinischer Schachkongress am 7. und 8. September zu Düsseldorf in einer zahlreich besuchten Generalversammlung zusammengetreten ist.
Mit besonderem Nachdruck wurde in der beim Festmahle von Max Lange gehaltenen Ansprache der Gedanke der Einigkeit und des genossenschaftlichen Zusammenwirkens hervorgehoben und die höhere Bedeutung des Schachspieles als einer freiesten Schöpfung des Geistes dargelegt, welche sich über alle Bedürfnisse des gesellschaftlichen Lebens, über alle Sonderinteressen der Stämme und Stände erhebe und daher vorzüglich geeignet erscheine, den Gedanken der Einigkeit an sich in höchster Freiheit und Lauterkeit zu verwirklichen und seine edelsten Blüten, wahre Humanität und bruderschaftliche Gesinnung, zu schönster Entfaltung zu zeitigen. Mag auch dieses Ziel immerhin nur ideal genannt werden, die gehobene Feststimmung der zahlreichen Kongressbesucher, unter denen alle Stände vertreten waren, bot durchaus keinen Anlass, an dem Ernst ihrer Überzeugungen und Vorsätze in jenem Sinne zu zweifeln.
In würdiger Form wurde bald nach aufgehobener Tafel am Abend des ersten Tages eine geschäftliche Sitzung abgehalten, welcher mit echt parlamentarischem Takt A. Lange aus Duisburg präsidierte. Außer anderen Beschlüssen, welche die Organisation der neuen Genossenschaft, des westdeutschen Schachbundes, näher angehen, wurde auch eine weitergehende Entscheidung von echt patriotischem Charakter, die Emanzipation von den englischen Schachgesetzen, getroffen; man beschloss auf den wohlmotivierten Antrag M. Langes, dass der in England sanktionierte Schachkodex für Deutschland nicht annehmbar sei, und dass der Ausschuss des Schachbundes sich mit den bedeutenderen Schachgesellschaften des Vaterlandes zur Vereinbarung einer nationalen Schachgesetzgebung in Einvernehmen setzen möge.
Erwähnenswert sind außerdem noch mehrere praktische Erfolge und Leistungen des Kongresses, welche sich auf das Schachspiel selbst beziehen. Es waren namentlich mehrere Turniere ausgeschrieben, sowohl für das rein praktische Spiel als auch für das Aufgabenwesen. In dem Hauptturnier, an welchem sich u. a. M. Lange, W. Paulsen, Oberst v. Hanneken, O. Wülfing u. s. w. beteiligten, trug der Erstgenannte den Sieg davon und erhielt als ersten Preis zwei wertvolle Aquarellgemälde; die zweite Prämie, ein großes Schachspiel von Elfenbein nebst seinem goldverzierten Lederbrett, fiel an O. Wülfing. In den Nebenturnieren waren als Preise ebenfalls kostbare Schachspiele, teils aus Elfenbein, teils aus Silber und Bronze, sowie wertvolle Kupferstiche und Photographien ausgesetzt. Im Problemturnier errang J. Seeberger, Techniker aus Gratz, den ersten Preis, ein kunstvoll modelliertes Schachspiel aus Metall, die Hermannsschlacht darstellend; der zweite Preis, ein Prachtband des Handbuchs der Schachaufgaben, kam an Musikdirektor Schultz aus Elberfeld. Ein ursprünglich noch als Turnierpreis ausgesetztes, höchst wertvolles Ölgemälde von Maler Balduin Wolff in Düsseldorf, eine Landschaft mit Architektur, voll sinnreicher Schachanspielungen (Die Schachspielerherberge betitelt), wurde auf Anregung M. Langes, welcher die nächste Anwartschaft hatte, zurückgenommen und als Ehrenpreis an L. Paulsen in Anerkennung seiner Verdienste um den Schachkongress überwiesen.
Dieser Meister hatte sich nämlich erboten, zur Verherrlichung des Schachfestes eine Produktion in seiner weltberühmten Kunst des Blindlingsspielens zu geben. Dieselbe fand am zweiten Kongresstag in den Räumen des Geißler'schen Rittersaales vor einer zahlreichen bewundernden Zuschauermenge statt und nahm eine Zeitdauer von über 12 Stunden (2 Uhr nachmittags bis 3 Uhr nachts) in Anspruch. Paulsen saß am Ende des Saales in einem Lehnstuhl und kehrte den Rücken seinen zehn gleichzeitigen Gegner zu, welche in einer langen Reihe an einer gemeinsamen Tafel mit ihren Schachbrettern Platz genommen hatten. Vor diesen zehn Spielern, von denen wir Fabrikant Schlieper aus Elberfeld, G. Schultz aus Hannover, Hengstenberg aus Wesel, Kohtz aus Köln, Wolff und Pflaum aus Düsseldorf namhaft machen wollen, verkehrten die Zuschauer, unter welchen alle Stände und auch das schöne Geschlecht vertreten war. Mit sichtlichem Interesse folgten den bewundernswürdigen Kombinationen des Blindlingsspielens namentlich Graf Vitzthum aus Dresden, Graf Monts (Divisionskommandeur in Düsseldorf), Oberst v. Hanneken, Oberstleutnant v. Besecke, Oberstleutnant René de L'homme de Courbière, Professor Schotel, Advokat Küster und Stiesberg, Baumeister Schnitzler mit Familie, Major v. Schlabrendorf, Assessor von Schütz, Dr. Lindau, Dr. Giebe, Gebrüder v. Dorp, Maler G. Süs und viele andere. Im Ganzen fanden sich während des Verlaufes der Produktion weit über hundert Freunde des edlen Spieles ein; am stärksten waren bei dieser Gelegenheit, wie zum Besuch des Kongresses überhaupt, die rheinischen Städte, namentlich Elberfeld, Düsseldorf, Krefeld, Wesel, Köln, Bonn u. s. w. vertreten. Ohne die geringsten Anzeichen von Ermüdung führte der Blindlingsspieler die anstrengungsvolle Geistesarbeit bis zum Schluss siegreich durch; er verlor keine einzige Partie, gewann sechs Spiele und machte die übrigen remis. Seine eigenen Züge sagte er selbst an, während ihm die Züge der Gegner ihrer Reihenfolge nach von einigen Vermittlern verkündet wurden; die leitende Kontrolle des Ganzen war von M. Lange übernommen, welcher zugleich das Protokoll über den Verlauf der einzelnen Spiele führte. Am Schluss, als der letzte Gegner Hengstenberg, nachts 3 Uhr, gefallen war, wurde der noch immer unermüdliche Meister mit einem stürmischen Applaus begrüßt; es stellt sich heraus, dass er, ohne je in irgendeiner Partie den Faden verloren zu haben, im Ganzen 419 Züge gewechselt hatte.
Mit dieser eminenten Leistung schlossen die öffentlichen Produktionen des diesjährigen Rheinischen Schachkongresses, oder der ersten Hauptversammlung des Westdeutschen Schachbundes; hoffen wir auf ähnliche Leistungen und Erfolge bei der nächstjährigen Zusammenkunft, sowie auf eine lebendige Betätigung des allgemeinen Geistes, welcher dieser Genossenschaft wie allen anderen Assoziationen der Neuzeit zu Grunde liegt."
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