moralische Schachregeln von Benjamin Franklin |
Benjamin Franklin (1706 - 1790) war ein amerikanischer Drucker, Verleger, Schriftsteller und Naturwissenschaftler. Franklin war auch Erfinder, unter anderem erfand er den Blitzableiter. Vor allen Dingen ist Franklin als Staatsmann bekannt. Er gehört zu den Gründern der Vereinigten Staaten und war an der Ausarbeitung der amerikanischen Verfassung beteiligt. Auch heute noch wird Franklin immer noch gern gesehen auf der 100-US-Dollar-Banknote.
Franklin war auch ein guter und begeisterter Schachspieler. Seine "The Morals of
Chess" erschienen im Dezember 1786 in "The Columbian Magazine" und in London im
Juli 1787 in "The Gentleman's Magazine". Erst 1847 veröffentlichte Dr. Franz Kottenkamp
die nachfolgende Übersetzung in "Wochenbände für
das geistige und materielle Wohl". Die
Wiedergabe des folgenden Textes wurde in die aktuelle Rechtschreibung umgesetzt:
Moral des Schachspiels von Franklin
Das Schachspiel ist nicht bloß eine müßige Unterhaltung, sondern sehr wertvolle
Geisteseigenschaften, die im Laufe des Menschenlebens nützlich sind, werden
dadurch erhalten und gestärkt, so dass dieselben zu Gewohnheiten werden, die bei
jeder Gelegenheit bereit sind. Das Leben ist eine Art Schachspiel, worin wir oft
Points gewinnen, mit Gegnern oder Konkurrenten kämpfen und worin eine große
Mannigfaltigkeit guter und böser Ereignisse eintritt, welche in gewissem Grade
die Wirkung der Klugheit oder des Mangels derselben sind.
Im Schachspiel können wir erlernen:
1) Vorhersicht, die ein wenig in die Zukunft blickt und die Folgen betrachtet,
welche sich aus einer Handlung ergeben. Der Spieler nämlich hat nur im Sinn:
wenn ich diese Figur ziehe, was wird der Vorteil oder Nachteil meiner neuen Lage
sein? Wie kann mein Gegner dieselbe benützen, um mich zu belästigen? Welche
andere Züge kann ich tun, um jene zu unterstützen und mich zu verteidigen?
2) Umsicht, welche das ganze Schachbrett und die Szene der Handlung, das Verhältnis der verschiedenen Figuren und deren Lagen, deren Gefahren und gegenseitige Unterstützung, die Wahrscheinlichkeit eines Zuges vom Gegner, die eines Angriffs und die Mittel überblickt, um seinen Schlag zu vermeiden und die Folgen gegen ihn zu richten.
3) Vorsicht, seine Züge niemals zu hastig zu tun; diese Gewohnheit wird durch die Spielregeln am besten erworben, z. B. berührt ihr eine Figur, so müsst ihr damit einen Zug machen, setzt ihr sie nieder, so müsst ihr sie stehen lassen. Deshalb ist es auch am besten, dass man diese Regeln stets beobachtet, da das Spiel dadurch mehr zum Bilde des Lebens und hauptsächlich des Krieges wird, worin ihr, wenn ihr euch unvorsichtig in eine gefährliche Lage bringt, nicht die Erlaubnis zum Rückzuge von eurem Feinde erlangt, sondern alle Folgen eures raschen Schrittes über euch nehmen müsst.
Zuletzt lernen wir durch das Schachspiel die Gewohnheit, durch schlechten Zustand unserer Angelegenheiten nicht entmutigt zu werden und auf günstigen Wechsel zu hoffen, sowie beim Aufsuchen der Hilfsquellen zu beharren. Das Spiel ist so voller Ereignisse und die Mannigfaltigkeit der Wendungen so groß, sein Glück so plötzlichem Wechsel so sehr unterworfen - man bemerkt ferner nach langer Betrachtung so häufig das Mittel, sich aus einer scheinbar unüberwindlichen Schwierigkeit zu retten, dass wir ermutigt werden, den Kampf bis zuletzt fortzuführen, indem wir hoffen, entweder den Sieg zu gewinnen, oder wenigstens den Gegner in eine Lage zu bringen, worin er mit dem König festsitzt. Wer ferner betrachtet, wie es oft im Schach vorkommt, dass der Erfolg Unachtsamkeit und Anmaßung hervorruft, wodurch nachher mehr verloren wird, wie vorher gewonnen war, während das Unglück mehr Sorgfalt und Aufmerksamkeit, wie man das Ganze wieder herstellen kann, erzeugt, wird dadurch lernen, dass er sich durch den Erfolg seines Gegners nicht entmutigen lassen wird, noch bei kleinen Unfällen am endlichen Glücke nicht verzweifeln darf.
Damit wir deshalb bewogen werden, dieses Vergnügen vor anderen zu wählen, mag man jeden Umstand, der dessen Erheiterung steigert, betrachten; alle Handlungen und Worte, die übel angebracht, achtungswidrig sind oder irgendwie Verdruss erzeugen könnten, sollten vermieden werden, weil sie dem Zwecke der Spieler, die Zeit angenehm zuzubringen, nicht entsprechen; deshalb
1) müssen die Regeln von beiden Spielern genau beobachtet werden, oder es darf der eine keine Abweichung von denselben in Anspruch nehmen, denn dies ist nicht billig.
2) Ist man aber übereingekommen, die Regeln nicht genau zu beobachten, so muss derjenige Spieler, welcher für sich Nachsicht verlangt, in derselben Weise diese auch seinem Gegner erweisen.
3) Kein falscher Zug darf gemacht werden, um eine schwierige Lage zu entfernen oder einen Vorteil zu gewinnen; denn man kann kein Vergnügen haben, mit einer Person, welche sich dergleichen erlaubt, zu spielen.
4) Bedenkt sich der Gegner lange Zeit, so muss man ihn nicht antreiben, noch Ungeduld aussprechen. Man darf nicht singen oder pfeifen, oder auf die Uhr sehen, oder ein Buch zum Lesen nehmen, oder mit den Füßen auf den Boden stampfen, oder mit den Fingern auf den Tisch klopfen, noch überhaupt etwas tun, das ihn zerstreuen könnte. Alles dies missfällt, und er zeigt dadurch nicht Geschicklichkeit im Spiel, sondern List oder Rohheit.
5) Man darf den Gegner nicht durch die Angabe täuschen, dass man schlechte Züge gemacht hat und dass man das Spiel verlieren werde, damit man ihn sicher und sorglos und auf die eigenen Pläne unaufmerksam macht; denn dies ist Betrug, aber keine Geschicklichkeit.
6) Wenn man einen Sieg gewonnen hat, so darf man keinen verletzenden oder triumphierenden Ausdruck brauchen, auch nicht zu sehr sein Vergnügen zeigen; man muss sich bemühen, seinen Gegner zu trösten und ihn weniger unzufrieden mit sich selbst zu machen, indem man jede Art höflicher Reden, die man in Wahrheit anwenden kann, gegen ihn gebraucht. Z. B. Sie verstehen das Spiel besser als ich, wenn Sie achtsamer wären; oder: Sie hatten das beste Spiel, allein etwas lenkte ihre Gedanken ab, und dies war zu meinen Gunsten.
7) Der Zuschauer beobachte das vollkommenste Schweigen; gibt er seinen Rat, so beleidigt er beide Spieler, denjenigen, gegen welchen man ihn gibt, weil er vielleicht dadurch sein Spiel verliert; denjenigen, zu dessen Gunsten er ihn gibt, weil dieser, selbst wenn der Rat gut ist, das Vergnügen verliert, dass derselbe ihm selbst eingefallen ist. Sogar nach einem Zuge darf man nicht sagen, wie derselbe besser hätte geschehen können, denn dies ist missfällig und kann Streit oder Zweifel über die wahre Lage verursachen. Alles Reden mit den Spielern zieht deren Aufmerksamkeit ab und ist deshalb unangenehm. Auch darf man keine Winke durch Geräusche und Bewegung geben; wer es tut, ist unwürdig zuzuschauen. Wollt ihr ein Urteil zeigen, so spielt selbst, mischt euch aber nicht in fremdes Spiel.
Wird das Spiel nicht streng nach den erwähnten Regeln gespielt, so mäßige man den Wunsch, den Gegner zu besiegen, und begnüge sich mit einem Siege über sich selbst. Man hasche nicht eifrig nach jedem Vorteil, den Ungeschick oder Unachtsamkeit darbietet, zeige ihm höflich, welche Figuren er aussetzt und nicht unterstützt; er werde seinen König in eine gefährliche Lage bringen u. s. w. Durch diese Höflichkeit, welche dem vorher erwähnten unziemlichen Betragen so ganz entgegengesetzt ist, verliert ihr vielleicht das Spiel, gewinnt aber, was noch besser ist, die Achtung und Zuneigung eures Gegners und die schweigende Billigung der Zuschauer.
Wenn der verlierende Spieler sich eine Unwahrheit zu Schulden kommen lässt, um seine Niederlage zu verdecken, z. B. ich habe lange nicht gespielt, die Art, das Spiel zu eröffnen, verwirrte mich, die Figuren waren zu groß; so müssen alle solche Beschönigungen, um keinen schlimmern Namen zu gebrauchen, ihn in den Augen jedes Verständigen heruntersetzen, sowohl als Mann wie als Schachspieler; wer bei solchen Kleinigkeiten über die Wahrheit sich hinwegsetzt, ist kein strenger Moralist in wichtigen Angelegenheiten. Ein Mann von geziemendem Stolze wird dergleichen Entschuldigungen, sogar wenn sie wahr sind, verachten, weil sie im Augenblick als unwahr erscheinen könnten.
Eine spätere neue Übersetzung als diese von Kottenkamp in den "Wochenbänden
für das geistige und materielle Wohl" 1847 veröffentlichte Fassung wurde 1849 in
der Berliner "Schachzeitung" auf Seite 149 unter der Überschrift "Chess for
winter evenings" in gekürzter Fassung publiziert.
© Elke Rehder