Das Brettspiel Solitaire im 18. Jahrhundert

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Zur Geschichte des Brettspiels Solitaire

Gottfried Wilhelm Leibniz und der Baron de Lahontan. Eine kurze geschichtliche Betrachtung zur Entstehungsgeschichte dieses Brettspiels.

Das Brettspiel Solitaire wird im deutschsprachigen Raum Solitär, Nonnen-Spiel oder Einsiedler-Spiel genannt. In Nordamerika wird es zur Unterscheidung Peg solitaire genannt, damit es dort nicht mit dem ebenfalls Solitaire genannten Kartenspiel (d. i. Patience) verwechselt wird.

Der Ursprung dieses Brettspiels ist bisher noch nicht ausreichend erforscht. Es gibt Legenden, die einen Gefangenen der Pariser Bastille als Erfinder nennen. Dies ist durchaus vorstellbar, denn die Bastille war nicht nur ein Gefängnis für Kriminelle, sondern auch für Intellektuelle. So musste auch der berühmte Schriftsteller Voltaire (d. i. François-Marie Arouet, 1694–1778) im Jahre 1717 Bekanntschaft mit diesen dicken Mauern machen. Eine andere Legende berichtet von einem Franzosen, der dieses Spiel auf seinen Reisen durch Nordamerika bei den Indianern entdeckt habe und es später in modifizierter Form beim französischen Hofadel einführte.
 



Anne de Rohan-Chabot (1648–1709) spielte um 1697 Solitaire

Anne de Rohan-Chabot heiratete 1663 François de Rohan Prince de Soubise (1630–1712) und erhielt den Titel Princesse de Soubise. Mit der Erhebung von Soubise zum Fürstentum, erlangte sie 1667 den Titel Dame de Frontenay. Wegen ihrer Schönheit war sie zeitweise die Mätresse des Sonnenkönigs Ludwig XIV.

Für die erst zwölfjährige Prinzessin Maria Adelaide von Savoyen (1685–1712) und Louis (1682–1712), dem ältesten Enkel Ludwig XIV., wurde am 7. Dezember 1697 in Versailles eine pompöse Hochzeit ausgerichtet. Aus diesem Anlass gab es in Paris Kupferstiche mit Portraits adeliger Herrschaften zu kaufen. Zusätzlich zu dem in der obigen Abbildung gezeigten Kupferstich von Antoine Trouvain (1652?-1708) fertigte 1697 in Paris auch der Kupferstecher Claude Auguste Berey (1660–1730) ein ähnliches Portrait, welches Anne de Rohan-Chabot ebenfalls mit dem Spiel Solitaire zeigt. Jener Kupferstich von Berey ist verzeichnet in der Bibliothéque Nationale Département des Estampes, Inventaire du Fonds Francais - Gravuers Du XVII e Siègle par Roger-Armand Weigert. Tome Premier. Paris 1939. Dix-septième Siècle Berey (Claude-Auguste) S. 361-362 „Madame la Princesse de Soubize joüant au Jeu du Solitaire“. 2 épr., N2; Oa. 73 (p. 65). Diese beiden Kupferstiche von 1697 sind die frühesten bekannten Bilder von diesem Brettspiel.

Das Solitaire wurde im August 1697 in der Zeitschrift Mercure Galant ausführlich in drei anonymen Briefen beschrieben. Es handelt sich um den Mercure Galant, dédié à Monseigneur Le Dauphin, Aoust 1697, a Paris, chez Michel Brunet, Grande Salle du Palais. Der erste anonyme Brief im August 1697 trägt die Überschrift Premiere Lettre, Sur le Jeu du Solitaire. A Monsieur ***. (im Mercure Galant auf Seite 88 bis 115). Ein zweiter Brief erscheint ebenfalls im August 1697 auf den Seiten 115 bis 134. Im September 1697 folgt der dritte und letzte Brief auf den Seiten 58 bis 84. Redakteur des Mercure Galant war zu jener Zeit der französische Schriftsteller Thomas Corneille (1625–1709). Es sind die frühesten Veröffentlichungen zu diesem Spiel und ich frage mich, warum diese Publikation anonym erschien?
 
Der Baron de Lahontan, auch La Hontan, d. i. Louis Amrand de Lom d'Arce, wurde am 9. Juni 1666 in Lahontan, Pyrénées-Atlantiques geboren und verstarb am 21. April 1716 in Hannover (Lebensdaten siehe: James H. Marsh: The Canadian Enzyclopedia, Toronto, McClelland & Stewart, 2000. S. 1278). Der Baron de Lahontan wurde als Anthropologe und Reiseschriftsteller bekannt. Von 1683 bis 1693 war er in Nordamerika. Dort lebte er zweitweise bei verschiedenen Indianerstämmen und lernte deren Sprache, Sitten und Gebräuche kennen. In seiner Heimat Frankreich entwickelten sich ab ca. 1691 Intrigen gegen ihn. 1693 kehrte Lahontan nach Frankreich zurück. Er konnte nur knapp einer Verhaftung entgehen und floh im Januar 1694 nach Portugal. Von dort aus segelte er nach Kopenhagen. Im Dezember 1694 war er kurz in Versailles und 1695 in Béarn. Dort musste er feststellen, dass sein Familiensitz Château de Lahontan inzwischen verkauft worden war. Als ein erneuter Haftbefehl gegen ihn erging, flüchtete er im Oktober 1695 nach Spanien. 1698 lebte er in Den Haag, 1699 in Lissabon und 1702 in den Niederlanden und England. Eine ausführliche Lebensbeschreibung des Barons de Lahontan wurde von David M. Hayne im Dictionnaire biographique du Canada, Vol. II (1701–1740) von der Université Laval et University of Toronto 1991 veröffentlicht (édition corrigée). Die Beschreibung ist dort unter dem folgenden Namen zu finden: LOM D’ARCE DE LAHONTAN, LOUIS-ARMAND DE, baron de Lahontan.

Der erste Band seiner Beschreibungen von Nordamerika wurde 1703 in Den Haag herausgegeben. Der Titel lautet: Nouveaux voyages dans l'amérique septentrionale. Noch im selben Jahr erschien eine Übersetzung in London. Die Verfasserangabe auf dem Titelblatt lautet dort Baron LA HONTAN, Lord Lieutenant of the French Colony at Placentia in Newfoundland, now in England. Die Erscheinungsdaten dieser Ausgabe lauten: LONDON: Printed for H. Bowicke in St. Paul's Church-yard; T. Goodwin, M. Wotton, B. Tooke, in Fleetstreet; and S. Manship in Cornhil, 1703.

Beschreibungen der Neuen Welt waren damals in Europa sehr begehrt. Zahlreiche Raubdrucke brachten Lahontan um die Früchte seiner Arbeit. Nach 1703 verlieren sich seine Spuren, bis er im Laufe der Jahres 1710 mit angeschlagener Gesundheit an den kurfürstlichen Hof nach Hannover gelangte, wo er am 21. April 1716 starb. Zu seinen Lebzeiten erfuhr er große Wertschätzungen von Sir Hans Sloane (1660–1753) und von Leibniz. Sloane war ein irischer Wissenschaftler, Mediziner und Botaniker. Ein Briefwechsel zwischen Leibniz und Sloane ist nachweisbar. Kurz nach dem Tod des Barons von Lahontan gab Leibniz posthum eine politische Druckschrift unter dem Namen des in Hannover verstorbenen Barons de Lahontan heraus. Der zweisprachige Titel dieser Druckschrift lautet: Réponse du Baron de la Hontan à la lettre d'un particulier opposée au Manifeste de sa Majesté de la Grande Bretagne comme électeur de Brunswic contre la Suède / Des Herrn Barons de la Hontan Beantwortung, Des Dem Manifest Sr. Groß-Britannischen Majestät, als Churfürsten von Braunschweig, contra Schweden, entgegen gesetztem Schreibens eines Ungenannten. Die Druckschrift erscheint ohne Orts- und Verlagsangabe (Hannover) 1716 und hat einen Umfang von 30 unpaginierten Seiten (15 Blatt).

Joseph-François Lafitau (1681-1746) war ein Jesuit und einer der ersten französischen Missionare in Kanada. Er wirkte dort als Ethnologe, Anthropologe und Naturforscher. Der Pater Lafitau schreibt 1724 in seinem umfangreichen Werk Moeurs des sauvages amériquains unter anderem auch etwas über die Spiele der nordamerikanischen Indianer und berichtet, dass Lahontan bei den Indianern unter mehreren Spielen auch ein Spiel mit Zahlen entdeckt habe, welches alle vier Grundrechenarten bedingt und entgegen den übrigen Glücks- und Geschicklichkeitsspielen ein reines Spiel des Geistes sei. Ich übersetze kurz die entsprechende Textstelle auf der dortigen Seite 351:
»Baron de LaHontan machte aus ihm ein Spiel aus reinem Verstand und Kalkül, in dem derjenige, der am besten weiß, wie man addiert und subtrahiert, multipliziert und dividiert, mit Sicherheit auch gewinnen wird. Dafür sind Gebrauch und Übung notwendig, denn diese Wilden sind nichts weniger als gute Rechner.«

Nachzulesen ist dies in dem Buch Moeurs des sauvages amériquains comparées aux moeurs des premiers temps. Par le P. Lafitau, de la Compagnie de Jesus. Die Erscheinungsdaten lauten:Tome second. Paris, Saugrain / Hochereau, 1724. Die Berichte in französischer Sprache zu La Hontan sind auf den Seiten 231, 351 und 483 zu finden.

Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716)

Was ist wahr an den Legenden über die Erfindung dieses Spiels? Manche Legenden beinhalten meist auch etwas Wahres. Es könnte durchaus möglich sein, dass der Baron de Lahontan das geistreiche Spiel eines nordamerikanischen Indianerstammes nach Frankreich brachte, dabei jedoch aus Gründen der Sicherheit auf seine Anonymität achten musste.

In seiner 1710 in den Miscellanea Berolinensia veröffentlichten Anmerkung zu bestimmten Spielen gibt Leibniz eine kurze Beschreibung von dem neuen Spiel Solitaire. Hier folgt meine freie, sinngemäße Übersetzung aus dem Lateinischen:
Vor nicht allzu langer Zeit ist eine seltsame Art von Spiel bekannt geworden, welches man Solitaire nennt, welches ich selbst alleine oder nur mit einem beiwohnenden Beobachter spiele. Das Brett ist unterteilt in Felder, in dem Spielsteine in Löcher gesteckt werden, die nach den Regeln der Reihenfolge nach herausgezogen werden. Diese dürfen nur gezogen werden, wenn sie wie beim Damespiel von einem anderen Spielstein übersprungen werden können. Gewinner ist, wer hierdurch als Erster alle Spielsteine entfernt hat. Wer mehr als einen Spielstein hinterlässt, hat verloren. Eleganter kann dieses Spiel umgekehrt gespielt werden, indem der erste Spielstein auf ein beliebiges leeres Feld gesteckt wird. Beim Hinzufügen muss wieder die Regel beachtet werden, bis eine vorgegebene Figurenform mit Spielsteinen gebildet ist. Diese kann dreieckig, quadratisch, achteckig oder eine andere mögliche Form haben. Die Kunst dabei ist, vorauszusehen, was möglich sein wird. Der Vorgang sollte in erster Linie eine geometrische Form bilden.

Der lateinische Originaltext ist nachzulesen auf den Seiten 22 bis 26 in Leibniz' Beitrag Annotatio de quibusdam ludis, inprimis de Ludo quodam Sinico, differentiaque Scachici & Latrunculorum, & novo genere Ludi Navalis. Ich übersetze: Anmerkung zu bestimmten Spielen, insbesondere über ein bestimmtes chinesisches Spiel, den Unterschied zwischen Schach und Latrunculi und eine neue Art von Marine-Spiel. Leibniz' Beitrag erschien 1710 in den Miscellanea Berolinensia auf den Seiten 22 bis 26. Die Veröffentlichung erfolgte am 3. Juni 1710 durch die Königlich Preußischen Sozietät der Wissenschaften. Die heutige Bezeichnung lautet: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Es handelt sich um den ersten Band der Reihe Miscellanea Berolinensia. Dieser Band enthält sechzig wissenschaftliche Beiträge, darunter zwölf Beiträge von Leibniz zu unterschiedlichen Wissensgebieten. Die vollständigen Erscheinungsdaten lauten: Miscellanea Berolinensia ad incrementum scientiarum, es scriptis Societati Regiae Scientiarum ehibitis edita cum figuris aeneis et indice materiarum. Berolini, Sumptibus Johan. Christ. Papenii (Johann Christoph Papen), Bibliopola Regii et Societatis Privilegiati. MD C CX. Weitere Informationen hierzu in meinem zweibändigen Werk: Elke Rehder: Gottfried Wilhelm Leibniz, Band 1 : Chronologie seines Lebens und seiner zu Lebzeiten veröffentlichten Druckschriften / Band 2 : Das Schachspiel und die Wissenschaft. Barsbüttel, 2017.

Leibniz beschreibt in seinen kurzen Anmerkungen zu den Spielen auch das Brettspiel Solitaire, weil er dieses neue Spiel selber erst seit kurzer Zeit spielte und erwähnenswert fand. Im Gegensatz zum Schachspiel kam dieses Spiel seinem persönlichen Naturell sehr entgegen, weil er dazu keinen Partner brauchte.

In Deutschland war das Spiel zu jener Zeit noch unbekannt und Leibniz wird mit Sicherheit ein Spielbrett aus Frankreich vor sich gehabt haben, so wie es in dem abgebildeten Kupferstich bei der Prinzessin de Soubise auf dem Tisch zu sehen ist. Dieses französische Brett hat 37 Löcher (2 x 3 + 2 x 5 + 3 x 7 = 37).

In seinem letzten Satz über das Solitaire gesteht Leibniz, dass er dieses Spiel noch nicht gründlich genug geübt habe. Vielleicht lag es daran, dass er dieses Spiel erst kurz in Gebrauch hatte. Möglicherweise bekam er das Spiel erst in diesem Jahr (1710) von dem soeben in Hannover eingetroffenen Baron de Lahontan. Es könnte sein, dass der von Leibniz in seiner Annotatio de quibusdam ludis erwähnte »beiwohnende Beobachter« der Baron de Lahontan war.

© Elke Rehder  Stand 26.02.2017

Bitte besuchen Sie auch meine Homepage www.elke-rehder.de

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