Das Brettspiel Solitaire im 18. Jahrhundert |
Gottfried Wilhelm Leibniz und der Baron de Lahontan. Eine kurze geschichtliche Betrachtung zur Entstehungsgeschichte dieses Brettspiels.
Das Brettspiel Solitaire wird im deutschsprachigen Raum Solitär, Nonnen-Spiel oder Einsiedler-Spiel genannt. In Nordamerika wird es zur Unterscheidung Peg solitaire genannt, damit es dort nicht mit dem ebenfalls Solitaire genannten Kartenspiel (d. i. Patience) verwechselt wird.
Der
Ursprung dieses Brettspiels ist bisher noch nicht ausreichend erforscht. Es gibt
Legenden, die einen Gefangenen der Pariser Bastille als Erfinder nennen. Dies
ist durchaus vorstellbar, denn die Bastille war nicht nur ein Gefängnis für
Kriminelle, sondern auch für Intellektuelle. So musste auch der berühmte
Schriftsteller Voltaire (d. i. François-Marie Arouet, 1694–1778) im Jahre 1717
Bekanntschaft mit diesen dicken Mauern machen. Eine andere Legende berichtet von
einem Franzosen, der dieses Spiel auf seinen Reisen durch Nordamerika bei den
Indianern entdeckt habe und es später in modifizierter Form beim französischen
Hofadel einführte.
Anne de Rohan-Chabot (1648–1709) spielte um 1697 Solitaire
Beschreibungen der Neuen Welt waren damals in Europa sehr begehrt. Zahlreiche Raubdrucke brachten Lahontan um die Früchte seiner Arbeit. Nach 1703 verlieren sich seine Spuren, bis er im Laufe der Jahres 1710 mit angeschlagener Gesundheit an den kurfürstlichen Hof nach Hannover gelangte, wo er am 21. April 1716 starb. Zu seinen Lebzeiten erfuhr er große Wertschätzungen von Sir Hans Sloane (1660–1753) und von Leibniz. Sloane war ein irischer Wissenschaftler, Mediziner und Botaniker. Ein Briefwechsel zwischen Leibniz und Sloane ist nachweisbar. Kurz nach dem Tod des Barons von Lahontan gab Leibniz posthum eine politische Druckschrift unter dem Namen des in Hannover verstorbenen Barons de Lahontan heraus. Der zweisprachige Titel dieser Druckschrift lautet: Réponse du Baron de la Hontan à la lettre d'un particulier opposée au Manifeste de sa Majesté de la Grande Bretagne comme électeur de Brunswic contre la Suède / Des Herrn Barons de la Hontan Beantwortung, Des Dem Manifest Sr. Groß-Britannischen Majestät, als Churfürsten von Braunschweig, contra Schweden, entgegen gesetztem Schreibens eines Ungenannten. Die Druckschrift erscheint ohne Orts- und Verlagsangabe (Hannover) 1716 und hat einen Umfang von 30 unpaginierten Seiten (15 Blatt).
Joseph-François Lafitau (1681-1746) war ein Jesuit und einer der ersten
französischen Missionare in Kanada. Er wirkte dort als Ethnologe, Anthropologe
und Naturforscher. Der Pater Lafitau schreibt 1724 in seinem umfangreichen Werk
Moeurs des
sauvages amériquains unter anderem auch etwas über die Spiele der
nordamerikanischen Indianer und berichtet, dass Lahontan bei den Indianern
unter mehreren Spielen auch ein Spiel mit Zahlen entdeckt habe, welches alle
vier Grundrechenarten bedingt und entgegen den übrigen Glücks- und
Geschicklichkeitsspielen ein reines Spiel des Geistes sei. Ich übersetze kurz
die entsprechende Textstelle auf der dortigen Seite 351:
»Baron de LaHontan machte aus ihm ein Spiel aus reinem Verstand und Kalkül, in
dem derjenige, der am besten weiß, wie man addiert und subtrahiert,
multipliziert und dividiert, mit Sicherheit auch gewinnen wird. Dafür sind
Gebrauch und Übung notwendig, denn diese Wilden sind nichts weniger als gute
Rechner.«
Nachzulesen ist dies in dem Buch Moeurs des sauvages amériquains comparées aux moeurs des premiers temps. Par le P. Lafitau, de la Compagnie de Jesus. Die Erscheinungsdaten lauten:Tome second. Paris, Saugrain / Hochereau, 1724. Die Berichte in französischer Sprache zu La Hontan sind auf den Seiten 231, 351 und 483 zu finden.
Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716)
Was ist wahr an den Legenden über die Erfindung dieses Spiels? Manche
Legenden beinhalten meist auch etwas Wahres. Es könnte durchaus möglich sein,
dass der Baron de Lahontan das geistreiche Spiel eines nordamerikanischen
Indianerstammes nach Frankreich brachte, dabei jedoch aus Gründen der Sicherheit
auf seine Anonymität achten musste.
In seiner 1710 in den Miscellanea Berolinensia veröffentlichten Anmerkung zu
bestimmten Spielen gibt Leibniz eine kurze Beschreibung von dem neuen Spiel
Solitaire. Hier folgt meine freie, sinngemäße Übersetzung aus dem Lateinischen:
Vor nicht allzu langer Zeit ist eine seltsame Art von Spiel bekannt geworden,
welches man Solitaire nennt, welches ich selbst alleine oder nur mit einem
beiwohnenden Beobachter spiele. Das Brett ist unterteilt in Felder, in dem
Spielsteine in Löcher gesteckt werden, die nach den Regeln der Reihenfolge nach
herausgezogen werden. Diese dürfen nur gezogen werden, wenn sie wie beim
Damespiel von einem anderen Spielstein übersprungen werden können. Gewinner ist,
wer hierdurch als Erster alle Spielsteine entfernt hat. Wer mehr als einen
Spielstein hinterlässt, hat verloren. Eleganter kann dieses Spiel umgekehrt
gespielt werden, indem der erste Spielstein auf ein beliebiges leeres Feld
gesteckt wird. Beim Hinzufügen muss wieder die Regel beachtet werden, bis eine
vorgegebene Figurenform mit Spielsteinen gebildet ist. Diese kann dreieckig,
quadratisch, achteckig oder eine andere mögliche Form haben. Die Kunst dabei
ist, vorauszusehen, was möglich sein wird. Der Vorgang sollte in erster Linie
eine geometrische Form bilden.
Der lateinische Originaltext ist nachzulesen auf den Seiten 22 bis 26 in Leibniz' Beitrag Annotatio de quibusdam ludis, inprimis de Ludo quodam Sinico, differentiaque Scachici & Latrunculorum, & novo genere Ludi Navalis. Ich übersetze: Anmerkung zu bestimmten Spielen, insbesondere über ein bestimmtes chinesisches Spiel, den Unterschied zwischen Schach und Latrunculi und eine neue Art von Marine-Spiel. Leibniz' Beitrag erschien 1710 in den Miscellanea Berolinensia auf den Seiten 22 bis 26. Die Veröffentlichung erfolgte am 3. Juni 1710 durch die Königlich Preußischen Sozietät der Wissenschaften. Die heutige Bezeichnung lautet: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Es handelt sich um den ersten Band der Reihe Miscellanea Berolinensia. Dieser Band enthält sechzig wissenschaftliche Beiträge, darunter zwölf Beiträge von Leibniz zu unterschiedlichen Wissensgebieten. Die vollständigen Erscheinungsdaten lauten: Miscellanea Berolinensia ad incrementum scientiarum, es scriptis Societati Regiae Scientiarum ehibitis edita cum figuris aeneis et indice materiarum. Berolini, Sumptibus Johan. Christ. Papenii (Johann Christoph Papen), Bibliopola Regii et Societatis Privilegiati. MD C CX. Weitere Informationen hierzu in meinem zweibändigen Werk: Elke Rehder: Gottfried Wilhelm Leibniz, Band 1 : Chronologie seines Lebens und seiner zu Lebzeiten veröffentlichten Druckschriften / Band 2 : Das Schachspiel und die Wissenschaft. Barsbüttel, 2017.
Leibniz beschreibt in seinen kurzen Anmerkungen zu den Spielen auch das Brettspiel Solitaire, weil er dieses neue Spiel selber erst seit kurzer Zeit spielte und erwähnenswert fand. Im Gegensatz zum Schachspiel kam dieses Spiel seinem persönlichen Naturell sehr entgegen, weil er dazu keinen Partner brauchte.
In Deutschland war das Spiel zu jener Zeit noch unbekannt und Leibniz wird mit Sicherheit ein Spielbrett aus Frankreich vor sich gehabt haben, so wie es in dem abgebildeten Kupferstich bei der Prinzessin de Soubise auf dem Tisch zu sehen ist. Dieses französische Brett hat 37 Löcher (2 x 3 + 2 x 5 + 3 x 7 = 37).
In seinem letzten Satz über das Solitaire gesteht Leibniz, dass er dieses Spiel noch nicht gründlich genug geübt habe. Vielleicht lag es daran, dass er dieses Spiel erst kurz in Gebrauch hatte. Möglicherweise bekam er das Spiel erst in diesem Jahr (1710) von dem soeben in Hannover eingetroffenen Baron de Lahontan. Es könnte sein, dass der von Leibniz in seiner Annotatio de quibusdam ludis erwähnte »beiwohnende Beobachter« der Baron de Lahontan war.
© Elke Rehder Stand 26.02.2017
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